Die Nordlandreise des Deutschen Kaiserpaares im Jahre 1894.
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Duft eines sonnendurchglühten Thales verlor, da war mir zu Muth, als stiege ich vom Großen St- Bernhard nach St. Rämh ab.
Hier begann die fertiggestellte Fahrstraße von Neuem, und ein Wagen erwartete mich bereits. Denn der Dolmetscher, welcher feit vier Jahren die Nordlandfahrten begleitet, hatte Tags zuvor von der „Hohenzollern" aus ein Telegramm expedirt zu dem Zweck, daß mir ein Karriol entgegengefandt werden sollte. Das war geschehen; aber nun wußte auch die ganze Thalschaft, daß ich zu der Begleitung des Kaisers gehörte; und ich wurde geehrt, als hätte Seine Majestät mich mit der Vertretung in Norwegen betraut. Am Ende der Fahrstraße, wo der Stryn-See beginnt, lag die kleine Dampfpinaß für mich bereit, die sonst zu ganz andern Stunden fährt; am gegenüberliegenden Ufer stand ein Karriol, das mir der Sohn des Wirthes aus Visnaes entgegengebracht hatte. Eine bequemere Reise konnte man nicht wünschen, auch nicht schöneres Wetter. Dabei boten das Thal und der Stryn-See so reiche Scenerien, so viel Wechsel von Schroffheit und Lieblichkeit, so anziehende Ausblicke auf die schneegekrönten Berge des Jostedal-Brae, daß mir traumartig zu Muth wurde.
Von Visnaes aus, das bereits am Nord-Fjord liegt, hätte ich direct an Bord der „Hohenzollern" zurückkehren können; ich that es nicht, sondern dehnte die Recognoscirung noch weiter aus bis zu den großen Gletschern oberhalb des Loen-Vand.
Im Grunde des Nord-Fjord wiederholt sich dieselbe Gebirgsbildung dreimal: an ein ausfallend fruchtbares Uferland und seine thalartige Fortsetzung landein schließt ein Gebirgssee, welcher trotz seiner tiefen Lage den Blick aus nahe gelegene Firnfelder bietet; da, wo der See sein oberes Ende hat, liegt ein Kessel, dessen Wände den Abstürzen des Jostedal-Brae angehören. Entsprechend den großen Schneemassen aus der Höhe des Plateaus sieht man Gletscher niederstießen, deren Entwicklung zuweilen beträchtlich ist. Die Namen der drei Seen sind Strhn, Loen und Olden; ihre Längsaxen convergiren gegen den Fjord. Ein jeder von ihnen hat seine besonderen Reize; sie gegen einander abzuwägen, scheint mir nutzlos; aber das darf ausgesprochen werden, daß der Kjendal-Gletscher im Kessel von Loen alle übrigen Gletscher des geschilderten Gebietes übertrisft.
XI.
Die Besichtigung des Kjendal-Brae behielt der Kaiser einer späteren Reise vor und beschränkte die größeren Ausflüge auf den Besuch des Briksdal-Brae. Nun sollte Seine Majestät endlich in ungetrübter Pracht erblicken, was bei den früheren Besuchen in Kälte, Regen und Wind dagelegen hatte.
Die Fahrt ging zunächst über das sogenannte „Ehd", d. h. über das Land zwischen Fjord und See; diese unternahm der Kaiser in einer zweisitzigen Stuhlkarre; denn das Karriol war über den See vorausgesandt worden. Auf dem Olden-Vand lag ein kleiner Dampfer; derselbe hatte vornehmlich die Ausgabe, das Boot zu schleppen, welches Seine Majestät für diesen und ähnliche Zwecke von Potsdam aus hatte mitnehmen lassen, und das dem Kaiser bereits während der Bonner Studienzeit für den Rudersport gedient hatte. In diesem