Die Nordlandreise des Deutschen Kaiserpaares im Jahre 1894.
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Aufstieg war also äquivalent mit der Ersteigung eines Alpengipsels von etwa 4000 in Höhe. Doch bezieht sich die Aequivalenz vornehmlich aus den Kraftaufwand, nicht so sehr aus die Schwierigkeiten.
Wie fast überall in Norwegen führten die ersten Stunden über sehr steile Hänge, und die Hitze wurde nicht minder stark empfunden, als etwa im Grindelwald, wenn man Nachmittags zur Besteigung des Schreckhorns auszieht. Bereits nach zweieinhalbstündigem Marsch standen wir 1000 m über dem Fjord und genossen nun erst die Freuden einer kräftigeren Luft und weiterer Umblicke. Zu Füßen lag das flache Ehd mit seinen Häusern und Culturen; die untere Hälfte des Olden-Vand war sichtbar, durch seine lauchgrüne Farbe und die schneetragende Einfassung an einen See des Engadin erinnernd. In intensivem Blau erstrahlte der Himmel, nur geschmückt durch wenige, scharf umränderte Cumuli-Wolken, die Verkünder beständigen Wetters.
Wir betraten nun ein geneigtes Schneefeld und traversirten es, dem Gipfel den Rücken kehrend. Mittels eines großen Umweges erreichten wir unser Ziel, dem wir uns erst wieder auf der Höhe des Fjeld zuwandten. In den Alpen wäre man direct gegangen und hätte das vorgelagerte Firnseld und den Bergschrund überwunden. In Norwegen aber ruht die Gebirgstechnik in den Händen sehr Weniger, und der leichtere Umweg wird dem gefährlich scheinenden directen Wege im Allgemeinen vorgezogen. Außerdem hatte Seine Majestät mir die Verantwortlichkeit dafür auferlegt, daß unsere Expedition nicht in gefährliche Situationen geriethe.
Wir erreichten den Gipfel der Cecilienkrone um halb drei Uhr Nachmittags nach achtstündiger Expedition, Lei welcher sechs Stunden aus den Marsch, zwei auf die Ruhepausen entfielen. I)r. Arimont hatte eine Flagge mitgenommen, die nun wehte; seine seemännischen Kenntnisse befähigten ihn, sestzustellen, daß das Signal auf der „Hohenzollern" wahrgenommen worden war, weil es erwidert wurde.
Am meisten mußte bei dem Aufenthalt aus dem Gipfel der Blick in die Ferne interessieren. Die Atmosphäre war ausnahmsweise klar, sie schien durchzogen von einem Meer seiner Berglinien, dem Ausdruck der Fjeld-Formationen. Am kräftigsten hob sich das Firndach des Jostedal-Brae ab; aus den Weißen Flächen seiner Wölbung sah man nach unten zu graue Eismassen sich entwickeln, jene Gletscher, die, aus der Nähe betrachtet, so schön, selbst großartig erscheinen, und die nun zu unbedeutenden Details der Landschaft wurden. Nur einundzwanzig Stunden zuvor hatten wir den Kessel des Briksdal-Brae bewundert; und jetzt lag er da: dürftig und degradirt. So wechselt mit dem Standpunkt das, was den Menschen fesselt, und wie Vieles, auch in der Welt des Jntel- lectes, erscheint uns nur deshalb groß, weil das Größere uns unsichtbar ist.
Wir verbrachten eine schöne Stunde aus dem Gipfelpunkt Gras Görtz hatte seit längerer Zeit das Hochgebirge oberhalb seiner Schneegrenze nicht betreten, I)r. Arimont überhaupt noch nie. Sie theilten mit mir eine Freude, die dem Alpinisten von Fach so leicht verloren geht über der Freude an schwieriger Technik oder überwundener Gefahr.