Uober Neo-Vitalismus.
389
ständig sortbestehen kann. Sie ist nichts als eine, zur scheinbaren Be- sriedigung unseres Causalbedürfnisses eingebildete Ursache von Veränderungen, welche selber das einzig Wirkliche sind, das wir wahrnehmen. Sie ist, wenn man aus den Grund geht, wie schon Newton es sagt, nichts als ein mathematischer Begriff, die zweite Ableitung des Weges des in veränderlicher Bewegung begriffenen Körperlichen nach der Zeit. Um nach fast einem halben Jahrhundert das Gleichniß zu wiederholen: die Atome sind nicht wie ein Fuhrwerk, davor die Kräfte als Pferde nun angespannt, dann davon abgeschirrt werden können; ihre Eigenschaften sind von Ewigkeit, unveräußerlich, unübertragbar. Wie die Spectralanalyse bestätigt hat, sind sie die nämlichen im entferntesten Sonnensystem, wie hier auf Erden in einer Denkzelle unseres Gehirns, gleichviel, wie ich einst Liebig antworten durfte, ob man dabei an die uns heute noch als Grundstoffe erscheinenden Atome oder an deren uns noch verborgene Urbestandtheile denkt.
In Firdusi's Heldensage vom überstarken Rostem heißt es:
„Im Melme sank ihm nn der Fuß bis an den Knöchel;
Da lachte neben ihm der Berggeist mit Geröchel.
Wer, fragte Rostem, lacht? Dumpf sprach der Berggeist: Ich!
Worüber? Weil ich seh im Grund einsinken dich.
Tie dir die Mutter gab, die Kraft ist lästig dir,
Du bist zu schwach für sie, gieb sie zu tragen mir!
Und brauchst du sie einmal, wenn matt sind deine Glieder,
So komm und ruf! so geb ich deine Kraft dir wieder.
Da gab der Pehlewan dem Berggeist in Verwahr Ten Ueberschnß der Kraft, die ihm beschwerlich war.
Jetzt aber kam er her, um, ehr im Berge modern Er ließe seine Kraft, sie nun zurück zu fodern.
Denn gegen Suhrab war der Sieg ihm zweifelhaft,
Wenn er nicht nähme ganz zusammen seine Kraft."
Bei Firdusi ist es übrigens, wie Rückert mir sagte, nicht der von ihm erfundene Berggeist, sondern Gott selber, welcher die Kraft in Verwahr nimmt. Gott oder Berggeist, wir lassen uns die tragische Mär trotz ihrer physiologischen Ungeheuerlichkeit gern gefallen. Wenn aber in den Träumen der Vitalisten mit der Lebenskraft in derselben Weise verfahren wird, wie bei Firdusi mit Rostem's Kraft, so wenden wir uns mit ungläubigem Lächeln ab.
Das erste Princip der Naturforschung ist, wie von Helmholtz bemerkt, daß wir uns die Natur begreiflich vorstellen müssen, da es sonst keinen Sinn hätte, sie erforschen zu wollen.^ Was aber soll man sich denken unter einer Kraft, vor welcher alle Räthsel der Natur offen liegen; welche wie ein bewußtes Wesen denkt und handelt; unter einer Kraft, welche ohne bestimmten Sitz im Körper aus keinen bestimmten Punkt wirkt, sondern Billionen von Atomen nach allen erdenklichen Richtungen verschiebt und doch Eine sein soll; unter einer Kraft, die im Tode ohne Gegenwirkung verschwindet, da doch der Leichnam, statt zu erkalten, dabei eine angemessene Temperaturerhöhung zeigen, vielleicht Selbstverbrennung erfolgen müßte; unter einem Dinge zuletzt, welches ohne Verminderung des ursprünglichen Ganzen in unendlich viele gleichwertige Theile getheilt werden kann. Wie in der Gedächtnißrede auf Johannes