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Deutsche Rundschau.
äußere Einwirkungen, mechanischer, thermischer, chemischer Art, war es gelungen, den Gang der Entwicklung mannigfach zu beeinflussen. In diesem Sinne war in den Versuchen von Hrn. Pflüger, Hrn. Wilhelm Roux, Hrn. Hans Driesch, unserem Collegen Hrn. O. Hertwig eine Entwicklungsmechanik, wie man es nennen kann, entstanden, während Hr. Herbst den Entwicklungsgang eines Echinus durch eine geringe Menge dem Seewasser zugeseßten Lithinmsalzes in völlig andere Bahnen lenkte, ohne daß das Thier, wie man etwa denken könnte, vergiftet zu Grunde ging. Ob die Lebenskräfte der einzelnen Zellen den Neo - Vitalisten genügen, um sowohl diese Erscheinungen wie die der normalen Entwicklung abzuleiten, oder ob sie mit Hinblick darauf außer jenen Kräften nicht noch wie vormals Müller eine gemeinsame Lebenskraft walten lassen, steht dahin; wer vitalistisch zu denken gewohnt ist, wird sich diese kleine Hülse schwerlich versagen.
Unter den neo-vitalistischen Kundgebungen nimmt eine Rectoratsrede von Hrn. Rindfleisch in Würzburg vom 2. Januar 1888 eine hervorragende Stelle ein.^ Hr. Rindfleisch empfiehlt unter dem Namen Neo-Vitalismus auf das Angelegentlichste eine Auffassung der Lebenserscheinungen, welche er auf Hrn. Virchow's Lehren in Würzburg in den fünfziger Jahren zurückführen zu können glaubt. Er sagt: „Ganz unabhängig von jenen älteren vitalistischen Theorieen hat sich der Neo-Vitalismus entwickelt, welcher die Lebenskraft nur in der innigsten Verbindung mit einem zu ihr gehörigen Lebensstosf kennt und beide gleichzeitig zum Gegenstände wissenschaftlicher Forschung macht. Derselbe ist redlich bemüht, die Erscheinungen des Lebens aus der chemisch-physikalischen Beschaffenheit des Lebensstofles zu erklären ... Er verhehlt sich aber nicht, daß es auch abgesehen von den Erscheinungen des Bewußtseins Thatsachen gibt, welche der Forschung vielleicht unübersteigliche Hindernisse bieten werden . . ." Und Hr. Rindfleisch schließt mit dem Rath, uns „ernster, aufrichtiger und bewußter Zurückhaltung gegenüber dem llnerforschlichen und unverdrossener Arbeit in der Erforschung dessen zu befleißigen, was wir messen und wägen können". Nun freilich, anders glauben wir es, nach besten Kräften, auch bisher nicht gehalten zu haben. Nur daß wir nichts von einer Kraft wissen, zu deren Wesen es gehört, daß man sie nur in Verbindung, mit einem Stoff kenne. Wir meinten, das sei das Gleiche für alle Kräfte, und fragen daher: worin unterscheidet sich denn die neo-vitalistische Lebenskraft von den physischen und chemischen Kräften?
Neuerlich hat Hr. Driesch es unternommen, aus den in unübersehbarer Fülle vorliegenden Thatsachen der Physiologie, Histiologie, Cellular-Biologie und Entwicklungsgeschichte allgemeine Schlußfolgerungen zu ziehen in einer kleinen Schrift unter dem Titel: „Die Biologie als selbständige Grundwissenschaft. Eine kritische" — wir können hinzufügen, philosophisch — „kritische Studie" (Leipzig 1893). Dieser Titel läßt den Grundgedanken der Schrift schon deutlich genug durchblicken, daß die Biologie auf anderen Füßen stehe, als Physik und Chemie, denen sie coordinirt, nicht subordinirt sei. Hr. Driesch, welcher seine eigenen verdienstvollen empirischen Arbeiten entwicklungsmechanische Studien nennt, sagt von der Entwicklungsmechanik, daß sie diesen