Ueber Neo-Vitalismus.
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Namen nicht verdiene, wenn es sich Herausstellen sollte, daß ein dem i^isus kornmtivus älterer Autoren ähnlicher, unfaßbarer Regulator gleichsam über der Formbildung schwebe, worüber wir aber nichts wüßten. Er betont, wie beschränkt jene Ansicht sei, die im „Leben" ein Problem sehe, welches nicht nur mechanistisch, sondern sogar physikalisch-chemisch, d. h. in unsere Physik- Chemie principiell auflösbar sei. Er sieht kein Bedenken, auch teleologische Betrachtungen zur Naturforschung zu zählen, womit er nicht etwa deren auch uns geläufige heuristische Anwendung meint, sondern die Zweckmäßigkeitsgründe für organische Bildungen und Einrichtungen. Er hat nichts dagegen, daß man sage, wo Kausalität aufhöre, höre auch Naturforschung auf. „Nur vergesse man nicht, daß dann dort etwas Anderes, sich an die teleologische Beurtheilungsform Anschließendes ansängt." Wenn er so mit erhobenem Finger in gesperrtem Druck vielleicht vor dem Supernaturalismus zu warnen beabsichtigt, so kann er ruhig sein, den vergessen wir nicht.
Hr. Driesch beruft sich zuletzt auf einen Ausspruch Kant's in seiner „Dialektik der teleologischen Urtheilskraft", wonach es für Menschen ungereimt sei, die organisirten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Principien erklären zu wollen oder zu hoffen, daß noch dereinst ein Newton erstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde. ^ Allein wie groß auch sonst Kant's Autorität anzuschlagen sei, der ja zuerst die Entstehung des Planetensystems verstand, so ist er doch auf naturwissenschaftlichem Gebiete nicht für unfehlbar zu achten. Man erinnere sich, wie er in seinen „Metaphysischen Ansangsgründen der Naturwissenschaft" der Lehre von der Erhaltung der Kraft mit keiner Silbe gedenkt; in seinen „Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte" diese Lehre bekämpft, ja Folgerungen daraus gleichfalls für ungereimt erklärt.^.
Weit hinaus über das noch etwas schüchterne Eintreten für den Neo- Vitalismus bei Hrn. Rindfleisch und Hrn. Driesch ist merkwürdigerweise schon vor einigen Jahren der Professor der physiologischen Chemie Hr. Bunge in Basel gegangen. Er eröffnet ein Lehrbuch seiner Wissenschaft (Leipzig 1887) mit einem Vortrage über Vitalismus und Mechanismus, in dessen Eingang es heißt: „Wenn die Gegner des Vitalismus behaupten, daß in den lebenden Wesen durchaus keine anderen Factoren wirksam seien, als einzig und allein die Kräfte und Stoffe der unbelebten Natur, so muß ich diese Lehre bestreiten. Daß wir an den lebenden Wesen nichts Anderes erkennen, das . . . liegt einfach daran, daß wir zur Beobachtung der belebten und der unbelebten Natur immer nur ein und dieselben Sinnesorgane benutzen, welche gar nichts Anderes percipiren, als einen beschränkten Kreis von Bewegungsvorgängen ... Zu erwarten, daß wir mit denselben Sinnen in der belebten Natur jemals etwas Anderes entdecken könnten, als in der unbelebten, — das wäre allerdings eine Gedankenlosigkeit. Aber wir besitzen ja zur Beobachtung der belebten Natur einen Sinn mehr: es ist der innere Sinn zur Beobachtung der Zustände und Vorgänge des eigenen Bewußtseins.... Der tiefste, der unmittelbarste Einblick, den wir gewinnen in unser innerstes