Heber Neo-Vitalismus.
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blendende Täuschung, und will untersuchen, welche Weltanschauung alsdann dem Naturforscher übrig bleibe.
Es ist klar, wir stehen nach wie vor gegenüber jenen unüberwundenen Räthseln, der ersten Entstehung der Organismen, ihrer Zweckmäßigkeit, der Schöpfungsgeschichte mit ihren Abenteuern. Es scheint keine andere Auskunft übrig, als sich dem Supernaturalismus in die Arme zu Wersen. Es muß eine schaffende Allmacht gewesen sein, welche, als die Erde hinreichend abgekühlt war, ein erstes Mal Lebewesen ins Dasein ries; sie dann in einer Anwandlung von Gleichgültigkeit oder Ueberdruß zum Untergang verurtheilte; dann eines Besseren sich besinnend, es mit einer neuen Schöpfung versuchte, um nach einiger Zeit, vielleicht nach Hunderttausenden von Jahren, dasselbe Spiel zu wiederholen.
So kann man es zur Noth sich denken: doch ist dazu Folgendes zu bemerken. Jenes erste, von Helmholtz an die Spitze gestellte, schon vorher von uns beanspruchte Princip ist dabei außer Acht gelassen: daß die Wissenschaft, deren Zweck es ist, die Natur zu begreifen, von der Voraussetzung ihrer Begreiflichkeit ausgehen müsse. Nun muß man doch gestehen, daß. Eine Schwierigkeit, eine Unwahrscheinlichkeit für die andere, und abgesehen von allem mythisch Hergebrachten, die obige Art, die Entstehung der organischen Welt zu erklären, im entschiedensten Nachtheil ist gegen die Abstammungslehre, wie lückenhaft auch die Phylogenie, wie dunkel die Teleologie, wie scheinbar rettungslos verloren augenblicklich die Abiogenese. Könnte es nöthig sein, das physisch Unmögliche noch auszumalen, daß ein Willensact eines immateriellen Wesens hier, wo nichts ist, im Nu einen Wallfisch oder auch nur eine Mücke entstehen ließe? Ist dies denkbarer als das Zustandekommen von Schiller's Glocke durch Ausschütten eines Schriftkastens, in dem doch wenigstens die Lettern schon vorräthig sind? Gibt es irgend einen Ausweg aus dieser Enge, so muß er versucht werden.
Und in der That, die Sache hat noch eine andere Seite. Kann es etwas der göttlichen Allmacht, die wir hier zu Hülse rufen, Unwürdigeres geben, als solches Beginnen? Erst die Welt unbelebt zu schassen, dann unter Durchbrechung der von ihr selber gegebenen physischen und chemischen Gesetze die Lebewesen nach anderen Gesetzen entstehen zu lassen; dann sie wiederholt zu vernichten und neu zu schaffen, in gewissen Punkten vollkommener, als habe sie es das vorige Mal noch nicht recht verstanden, in anderen wenigstens nicht besser, als habe sie nichts gelernt? sie sich vorzustellen als gebunden an von ihr selbst geschaffene Typen, wie die vier Extremitäten der Wirbelthiere, da es ihr doch ein Leichtes gewesen wäre, den Versuch zu machen mit einem sechsgliedrigen Wirbelthiere, wenn es auch kein Pegasus hätte werden können. Wäre es nicht praktischer gewesen, Wenn statt jenes wiederholten Eingriffes in die Naturgesetze, statt der Vernichtung ihres früheren Werkes, sie nur ein- für allemal den Keim des Lebens in die abgekühlte See, auf die am Fuß der Urgebirge mit feuchter Ackerkrume überzogene Erdoberfläche geworfen hätte, so vorgerichtet, daß daraus die heutige organische Natur Werden mußte?