Das vorarmenische Reich von Van.
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einen genügenden Aufschluß über diese Fragen von den assyrischen Inschriften nicht erwarten, selbst wenn die Quellen für alle Abschnitte dieser Epoche in gleicher Vollständigkeit und Ausführlichkeit vorlägen. Denn eine einigermaßen objective Würdigung fremdländischer Verhältnisse ist mit dem Charakter der Königsinschriften, Wie sie uns für diese Periode auf assyrischer Seite neben den knappen Angaben der Eponhmenlisten allein zu Gebote stehen, unverträglich. Diese Inschriften sind in erster Linie ofsicielle Documente, bestimmt, die Thaten des jedesmaligen Herrschers für Mit- und Nachwelt in möglichst günstigem Lichte darzustellen. Dabei kann es nicht ausbleiben, daß Erfolge überschätzt, Niederlagen vertuscht werden, und daß über die Modalitäten eines feindlichen Widerstandes, über die Beweggründe einer „Rebellion" gegen das Joch Assur's nur selten richtige Kunde und Klarheit zu erlangen ist. Erst das Vorhandensein nichtassyrischer Quellen begründet die Möglichkeit, dem thatsächlichen Bilde der Verhältnisse näher zu kommen, seien es einheimische Inschriften, seien es die Nachrichten elastischer Autoren — letztere, auch wenn sie spärlich vorhanden sind und Jrrthümer enthalten, immer von besonderer Wichtigkeit, weil die griechischen Beobachter die orientalischen Verhältnisse, denen sie fremd gegenüber standen, gewissermaßen mit unseren Augen ansahen und Ausschluß geben über Dinge und Verhältnisse, die die einheimischen Inschriften als selbstverständlich unerörtert und unerläutert lassen.
Für die Geschichte des urartäischen Volkes sind beide Gattungen von Nachrichten vorhanden, eine verhältnißmäßig große Anzahl von gleichzeitigen Inschriften vorarmenischer Könige und vereinzelte Notizen griechischer Schriftsteller.
Den Grundstock des bisher bekannten Materials solcher vorarmenischer Keilinschriften verdanken wir dem hessischen Gelehrten Professor Ed. Schultz, der, aus Anregung von St. Martin nach Armenien gesandt, im Jahre 1828 — also lange ehe in Chorsabad und Kujundschyk Botta und Layard die Trümmer assyrischer Königspaläste mit ihrem Reichthum an Inschriften aufdeckten, ja selbst ehe Burnouf und Lassen, aus Grotefend's Entzifferung sortbauend, das volle Verständniß der altpersischen Keilinschristen gesichert hatten — nicht weniger als 42 Keilinschriften entdeckte und copirte, welche in der Umgebung von Van, zumeist in Felsen gehauen, sich vorsanden. Der muthige Forscher sollte von dieser Reise nicht zurückkehren; er fiel von der Hand eines räuberischen Kurdenhäuptlings. Seine Kopien, deren verhältnißmäßige Zuverlässigkeit bei dem damaligen Mangel jeglichen Schlüssels zum Verständnisse der Inschriften bewundernswerth ist, wurden lange nach seinem Tode im ,Journal T8iatigu6" veröffentlicht. Eine Vermehrung dieses Materials fand Jahrzehnte lang nur durch zufällige und vereinzelte Funde statt.
Ein Versuch, die Inschriften zu entziffern, konnte erst beginnen, nachdem die Erforschung der ninivitischen Keilinschristen in Fluß gekommen war, mit deren Schriftlichen, wie leicht zu erkennen war, die vannischen Charaktere die engste, von voller Identität nur wenig entfernte Verwandtschaft zeigten. Die Sprache der Inschriften hat aber, wie durch die Arbeiten von Sayce und Guyard seststeht, weder zu dem semitischen Assyrischen oder überhaupt zu den