Heft 
(1894) 81
Seite
464
Einzelbild herunterladen

464

Deutsche Rundschau.

nicht etwa, weil er ihnen in geringerem Maße als Freund des Friedens erschien, sondern weil sie befürchteten, daß seine Sympathien sich in anderer als der von ihnen gewünschten Richtung äußern könnten. Die Absichtlichkeit, mit der die Fran­zosen ihre Trauer über das Hinscheiden des Zaren zur Schau trugen, ist sicherlich in Rußland selbst nicht unbemerkt geblieben. Wurde doch sogar geplant, eine größere Deputation von Kammermitgliedern zu den Beerdigungsfeierlichkeiten zu

entsenden, während ein Pariser Blatt vorschlug, den Generalissimus der französi­schen Armee, Generäl Saussier, zu demselben Zwecke nach Petersburg reisen zu lassen. Die besonnenen Elemente, an denen es in Frankreich keineswegs fehlt,

wirkten aber dahin, daß in dieser Hinsicht Maß gehalten wurde.

In dem Manifeste, das Kaiser Nicolaus nach dem Tode seines Vaters er­lassen hat, betont er in der traurigen, aber feierlichen Stunde, in der er den Thron des russischen Reiches und des mit ihmunzertrennlich verbundenen" Königreiches Polen und des Großsürstenthums Finnland besteigt, daß er, von dem Vermächt­nisse Alexanders III. erfüllt, das Gelübde thue,stets als einziges Ziel die fried­liche Entwicklung, die Macht und den Ruhm des theuren Rußland und die Be­glückung aller seiner treuen llnterthanen im Auge zu haben". Da der neue Zar sich ausdrücklich auf das Vermächtniß seines Hingeschiedenen Baters beruft, kann keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn die Macht und der Ruhm als Ziel bezeichnet wer­den, dieses doch nur auf dem Wege friedlicher Entwicklung angestrebt werden soll;

wie ja Kaiser Alexander III. zu den wenigen Herrschern aus dem Hause Romanow gezählt werden darf, unter denen Rußland keinen europäischen Krieg geführt hat. Die feierliche Form, die Nicolaus II. für die Versicherung gewählt hat, daß erdie Beglückung aller seiner llnterthanen" anstreben werde, läßt jedenfalls die Deutung zu, daß die von den Panslavisten ohne Unterlaß geforderten Verfolgungen anderer Nationalitäten im russischen Reiche nicht der Sinnesart'des neuen Zaren entsprechen. Die Deutschen in den russischen Ostseeprovinzen, die bisher vielfach berechtigte Ur­sachen zu Beschwerden hatten, würden es jedenfalls mit Genugthuung erfahren, falls das im Manifeste bezeichnte Ziel in der That nicht aus den Augen ver­loren würde. Daß insbesondere Glaubensverfolgungen dem Lande, das ihren Schau­platz bildet, niemals zum Segen gereichen, wird durch die Geschichte deutlich erhärtet; braucht doch nur auf den Niedergang Spaniens hingewiesen zu werden. Wenn in dem Manifeste zugleich der russische Grundcharakter Alexander's III. hervorgehoben und betont wird, daß dieKraft und Herrlichkeit des heiligen Rußlands" in dessen Einigkeit mit dem Zaren und in der Ergebenheit für ihn liege, so entspricht dies so sehr der traditionellen russischen Auffassung, daß besondere Schlußfolgerungen daraus nicht gezogen werden können.

Die friedlichen Aspecten, unter denen die europäische Politik nach wie vor dem Tode des Zaren erscheint, verhindert nicht, daß Frankreich in absehbarer Zeit ge- nöthigt sein wird, eine ebenso kostspielige wie langwierige militärische Expedition aus der Insel Madagaskar zu unternehmen. Keinem Zweifel unterliegen kann, daß die Hovas-Regierung im Widerspruche mit den Bestimmungen des Vertrages von 1885 wohlerworbene Rechte der Franzosen verletzt hat. Diese haben bis zum letzten Augenblicke große Geduld an den Tag gelegt, und die außerordentliche Sendung des mit den madagassischen Verhältnissen wohlvertrauten Abgeordneten Le Myre de Villers bezweckte vor Allem, der Hovas-Regierung noch die Gelegen­heit zu bieten, durch die Anerkennung der berechtigten Ansprüche Frankreichs den Krieg zu vermeiden. Dieser letzte Versuch scheiterte jedoch, so daß die französische Regierung sich genöthigt sieht, die angedrohte militärische Expedition zur Aus­führung zu bringen. Allerdings wird es im Hinblick auf die klimatischen Ver­hältnisse der Insel, deren Fieberzone nach den Mittheilungen sachverständiger Forschungsreisenden zahlreiche Opfer an Mannschaften erfordern wird, sowie auf den außerordentlichen Mangel an Verkehrsmitteln bedeutender Streitkräfte bedürfen, um Zum Ziele zu gelangen, so daß die Frage entsteht, wie das Expeditionscorps ge-