Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

Verwicklungen zu führen. Das liberale Cabinet Sagasta hat jedoch bisher in umsichtiger Weise alle Klippen vermieden. Obgleich der Marschall Martinez Campos in Marokko selbst die Verhandlungen wegen der Vorgänge bei Melilla, die der spanischen Regierung berechtigte Ursache zum Einschreiten gaben, zum Abschlüsse brachte, ließen es doch die konservativen unter der Führung Canovas' del Castillo nicht an Angriffen aus die nach ihrer Darstellung allzu schwächliche liberale Regierung fehlen. Allerdings war es hierbei an erster Stelle aus den Sturz des Cabinets Sagasta abgesehen. Die konservativen mußten aber zunächst ihre Be­mühungen vereitelt sehen, so daß, als aus anderen Ursachen eine Ministerkrisis erfolgte, diese damit endete, daß der liberale Conseilpräsident mit der Neubildung des Cabinets betraut wurde. Die Frage der Handelsverträge spielte bei dieser Krisis eine bedeutsame Rolle. Denn gerade die konservativen waren es, die im Vereine mit allen extrem-schutzzöllnerischen Elementen dahin wirkten, daß die bereits abgeschlossenen Handelsverträge, insbesondere derjenige mit Deutschland, gar nicht durchberathen wurden. Damals zog sich der frühere Finanzminister in dem liberalen Cabinet, Gamazo, von der Regierung zurück, indem er an der Spitze des mit der Reform der Zolltarife betrauten Ausschusses seine mehr schutzzöllnerische Auffassung geltend zu machen suchte. Nunmehr hat Sagasta in das neue Cabinet den mit Gamazo befreundeten Maura aufgenommen, sowie allen übrigen Schattirungen der Linken in seinemConcentrations-Ministerium" Platz gewährt, so daß selbst die von Castelar begünstigte Fraction derPossibilisten" nicht ausgeschlossen wurde. Hierbei muß hervorgehoben werden, daß der frühere Republikaner, als er sich selbst von der politischen Schaubühne zurückzog, seinen Anhängern den Anschluß au die monarchischen Einrichtungen empfohlen hat. Für Deutschland ist von besonderem Interesse, wie die spanische Regierung sich nunmehr zu der Frage der Handels­verträge stellen wird.

Auch in Belgien darf man lebhaften parlamentarischen Erörterungen entgegen­sehen, nachdem bei der auf der Grundlage des neuen Wahlgesetzes vollzogenen Ernennung des Senates und der Repräsentantenkammer die elerikale Mehrheit eine wesentliche Verstärkung in beiden parlamentarischen Körperschaften erfahren hat. Da das neue Wahlgesetz ans dem Prineipe des allgemeinen, jedoch nicht gleichen Stimmrechtes beruht verschiedene Kategorien von Wählern sind mit doppeltem oder dreifachem Stimmrechte ausgestattet ist es den socialistischen Kandidaten vielfach gelungen, die liberalen Mitbewerber aus dem Felde zu schlagen. Dieses Verhältniß würde sich für die Socialisten gegenüber den klerikalen noch günstiger gestalten, wenn an Stelle desPluralstimmrechtes" das gleiche allgemeine Wahl­recht zur Einführung gelangte. Dieses Ziel wird jedenfalls von der belgischen Arbeiterbevölkerung nunmehr angestrebt werden. Daß die gemäßigteren Elemente mit Rücksicht aus die belgischen Verhältnisse unter den: Regime des neuen Wahl­gesetzes unterliegen würden, mußte von Anfang an angenommen werden. Stehen ihnen auf der einen Seite die wohldisciplinirten Arbeiterbataillone gegenüber, so sorgte in den Wahlkreisen mit clerikaler Bevölkerung die Geistlichkeit dafür, daß ihre Schutzbefohlenen Mann für Mann im ultramontanen Sinne ihre Stimmen abgaben, so daß selbst die Hauptstadt Belgiens für den Liberalismus verloren ging.