Heft 
(1894) 81
Seite
469
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Literarische Rundschau.

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Begabung: da hatte er nichts in seine alten Tage gerettet als die Würde des Dichters, die ihn nie verließ, und die Kraft im Ertragen, die er wie ein Märtyrer bekundete.

Den Verlaus dieser Dichtertragödie enthüllt uns das von seiner würdigen Schwester herausgegebene Buch. Es enthalt zunächst die unvollendete Selbst­biographie, welche bis zum Jahre 1850 reicht, und dann Tagebuchblätter, Familien­briese, Gelegenheitsaussätze: Reisebeschreibungen, Erinnerungen, religiöse und philo­sophische Aphorismen. In diesen Bekenntnissen wird uns Niffel's Leben mit einer Offenheit enthüllt, die ebenfalls ihres Gleichen sucht. Es sollte über den Mann, der so viele Jahre verkannt und, für sein Gefühl, gering geschätzt leben mußte, der einen Theil seiner Lebensschuld in Momenten der Schwäche und Verstimmung aus Andere zu wälzen geneigt war, die Nachwelt richten, und darum wurde ihr Einsicht in all' sein Denken und Handeln gewährt. Erreicht wurde damit nur, daß man voll­ständigere Einsicht in seinen Charakter und in die wahren Motive seines tragischen Schicksals gewann. Als dessen Urheber muß aber Nissel selbst bezeichnet werden; nicht die Mitwelt, nicht die Weltordnung dürfen angeklagt werden. Das Aller­interessanteste an diesem Buche ist, daß man darin ein herbes Schicksal mit einer wahren Natnrnothwendigkeit sich abspielen sieht. Denn Nissel hatte von jeher die Neigung, sich selbst zu beschauen, mit einer oft erschütternden Wahrheitsliebe schonungslos über sich selbst zu urtheilen, seine Herzens- und Gewissenskämpse aus dem Papier schreibend austoben zu lassen. Vielfach verbrauchte er seine dichterische Stimmung bloß zu solch' persönlichen Bekenntnissen. Alles das war nicht weniger Folge als auch Ursache seiner Willensschwäche; den vorliegenden Memoiren aber kam sie allerdings zu Gute.

Wir sagten, Nissel hatte sein Leben gleich von vornherein tragisch angelegt, und wollen dies nun kurz erklären. Er war der Sohn eines Schauspielers, der 18441865 am Wiener Burgtheater unter dem Namen Korner beschäftigt war: ein Künstler zweiten Ranges, aber ein herzensguter Mann, der die sehr früh sich bekundenden dramatischen Neigungen seines Sohnes mit Freude begrüßte und nach Kräften das Seinige zur Bildung und Erziehung des jungen Dichters beitrug. Franz war im Gymnasium einer der Ersten in der Schulclasse, und merkwürdiger Weise hatten sich neben den dichterischen auch religiöse Neigungen, ein Gefühl von religiöser Berufung in dem sechzehn- bis siebzehnjährigen Jüngling offenbart. Die religiösen Betrachtungen", welche am Schluffe der Memoiren mitgetheilt werden und aus den Jahren 18471849 stammen, sind in der That von überraschender Tiefe und Schönheit. Da schrieb der junge Nissel die Sätze nieder:

Er (Gott) offenbart sich durch den Menschengeist durch ihn das Gesetz seines Willens. Und immer deutlicher wird dies erkannt von einem Jahrhundert zum andern. Und immer reiner strahlte es von einem Geschlechts zum andern. Es zu erkennen ist gegeben den Reinsten unter den Menschen und den Edelsten ihrer Zeiten, und sie verkünden es Allen. In ihrer Brust wacht ihre Sendung aus, die Boten des göttlichen Lichts zu werden ein Drang, durch keine Macht der Welt zu überwinden. Gottes Athem erfüllt sie; doch unsichtbar ist sein Walten. Es ist nur dies Prophetenthum auf Erden!"

So dachte der sechzehnjährige Mensch, der noch aus der Schulbank des Schotten- Gymnasiums in Wien saß, in einer von katholischen Priestern (Benedictinern) ge­leiteten Anstalt! Und als die Reaction nach 1848 hereinbrach und die kirchliche Disciplin in den Schulen strammer als vorher angezogen, die Gymnasiasten zu täglichem Gottesdienste, zu öfteren Beichten verpflichtet wurden, da ergriff der junge Nissel sofort Gelegenheit, sein freisinniges Religionsbekenntniß auch vor den äußeren Gewalten zu vertreten. Er weigerte sich, der kirchlichen Disciplin zu ge­horchen, er wollte um keinen Preis beichten gehen: durch den Schulzwang fühlte der allzu frühreife Gymnasiast seine ganze Menschen- und Manneswürde beleidigt. Es war wirklich nicht der geringste knabenhafte Uebermuth in dieser seiner Weige-