Heft 
(1894) 81
Seite
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Deutsche Rundschau.

rung enthalten, denn er wurde im Seelenkampse über die entstandenen Consticte mit seinen Lehrern auch Physisch krank, er konnte nicht mehr in die Schule gehen, und das Ende war, daß er ohne Abgangsprüsnng aus dem Gymnasium austrat und sich in diesem frühen Alter schon dazu entschloß, den Berus eines freien, vom Ertrage seiner Feder lebenden Schriftstellers zu ergreifen. Damit schon war das Schicksal von Nissel keck genug herausgefordert worden, denn er hatte seine Kräfte noch nicht erprobt, und dennoch schon auf jede andere Möglichkeit, seine Zukunft materiell zu sichern, verzichtet. Das Leben bereitete ihm nun eine traurige Ueber- raschung nach der anderen. So lange sein guter Vater lebte, ging es noch halb­wegs, wenn auch in sehr bescheidener Weise. Aber auch da zeigten sich schon die Schwierigkeiten.

Zunächst gestaltete sich Nissel's eigener Charakter unter dem Einstusse seines religiösen Gefühls sehr empfindlich. Wenn wir in seinen Aufzeichnungen aus dem Jahre 1851 die Schilderungen von Besuchen bei Hebbel, Halm oder Laube lesen (ich erkannte, daß Laube keine besondere Neigung fühlte, ein jugendliches Talent zu unterstützen;"wir verließen ihn (Hebbels höchst verletzt über die Demüthigungen, die wir hatten ertragen müssen" u. dgl. m.), dann merken wir, daß schon den Einundzwanzigjährigen ein ungewöhnliches Selbstbewußtsein erfüllte, daß der fleißige Autodidact jeder fremden Führung unzugänglich, jeder Fähigkeit, sich älteren Männern von Autorität unterzuordnen, verlustig geworden war. Der doppelte Stolz des sich zu einer religiösen Reformation berufen fühlenden Dichters erfüllte den äußerlich sanft und zart auftretenden Jüngling zu seinem Unglücke, denn er ließ ihn allzu früh vereinsamen und machte ihn unfähig, sich Freunde zu gewinnen, die ihm ge- rathen und geholfen hätten. Er hatte sich, von jedem äußeren Zwange befreit, daran gewöhnt, nur der Stimme seines Innern, nur der Inspiration, dem Genius, der Begeisterung zu folgen. In ihr wandelte er wie ein Gott auf Wolken, aber er entfremdete sich der Erde und wurde bald nicht so sehr das auserwählte Gefäß, als vielmehr der Sclave seiner Inspirationen. Er verlor die Macht über feinen Genius; mehr als einmal gestand er, daß er überhaupt gar nicht anders als in der Inspiration schreiben könne, und das hatte verhängnißvolle Folgen sowohl für seine Kunst als für sein Leben. Denn auch die Kunst erfordert viel rein nüchterne Arbeit, das stärkste Talent muß in den Intervallen von einer Begeiste­rung zur anderen mit bloßem Kunstverstande schaffen, und da dies Nissel so wenig wie die nüchterne Arbeit je gelernt hatte, so fühlte er sich außer Stande, sogar als seine Noth am höchsten war, als er mit Weib und Kindern am Hungertuch nagte, ein noch so bescheidenes Amt oder eine gemeine Stellung als Journalist anzu­nehmen er, der sozusagen nur mit Gott Verkehren konnte, war hülflos, wenn sein Gott ihn nicht erfüllte. Das kam um so häufiger vor, je älter er wurde, je mehr Kummer er hatte, je schwerer die materielle Noth ihn drückte, je entmuthigen- der der Mangel eines dauernden Bühnenerfolgs auf ihn wirkte. Unter den zahl­losen, diesen seinen Charakter illustrirenden Stellen heben wir eine hervor, die uns wegen des darin genannten vortrefflichen Mannes interessirt. Am 14. März 1858, wenige Wochen nach der ErstaufführungHeinrich's des Löwen" und an seinem siebenundzwanzigsten Geburtstage verzeichnete Nissel:

Nach Tisch machte ich den ersten weiteren Gang seit meiner letzten Er­krankung ich besuchte Bruno Bücher, den Referenten des ,Wanderersff Ich fand ihn im Kreise seiner Familie. Der gute Eindruck, den er beim ersten Zusammen­treffen auf mich gemacht, ward nicht geschwächt, aber auch nicht vermehrt. Das leidige Gespräch über Theater stellte sich dem Näherkommen hemmend zwischen mich und ihn. Sein jugendliches Weib und seine beiden Kinder! Ihr Anblick machte einen eigenthümlichen Eindruck auf mich. Woher nimmt er, der einfache Journalist, den Muth, ein liebes Weib an seine Brust zu schließen? Ich, der Dichter, dessen Name schon nicht mehr unbekannt ist ich finde nicht den Muth. Ich bin eben ein Dichter und ungewiß ist meine Zukunft. Doch ich will nicht klagen."