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Deutsche Rundschau.
mit dem der fünfzigjährige fchwer geprüfte Mann in feiner Selbstbiographie gesteht, daß er den Glauben an einen guten und gerechten Gott verloren habe. Doch füllte er nicht ganz ohne Trost aus diefer Welt fcheiden. Nachdem er von bitterer materieller Noth durch ein glückliches Geschick feiner sich ihm ganz widmenden Schwester befreit worden war, erlebte er die Freude, daß ihn die Grillparzer- Gesellschaft mit mehreren hervorragenden österreichischen Dichtern zu gleicher Zeit 1890 zum Ehrenmitgliede ernannte, ein Jahr darauf wurde fein sechzigster Geburtstag gefeiert, noch ein Jahr später erschien die Buchausgabe feiner bis dahin zumeist gar nicht gedruckten Stücke, mit einer Borrede, die den gebeugten, aber doch noch immer an feinen Genius glaubenden Dichter schlicht und wahrhaft uns vor Augen stellte. Und als Nistel am 20. Juli 1893 in Gleichenberg nach langem physischen Leiden entschlief, da nahm er das Versprechen des Wiener Burgtheaters mit sich hinüber, daß es fein einziges Lustspiel, „Ein Nachtlager Corvin's", nach vieljährigen Bemühungen des Dichters doch endlich zur Aufführung bringen werde. So starb er immerhin zuversichtlicher, als er selbst noch zu hoffen den Muth gefunden hatte. Moritz Necke r.
Mrs. Humphry Ward's neuer Roman.
NarcoIIa. Nrs. IVai-ä. 3 voll. llsixUZ, Lornöaiä lüueüinw. 1894.
Dieses Buch ist, vom finanziellen Standpunkte betrachtet, eines der kostbarsten, die in diesem Jahrhundert geschrieben worden find. Der Verfasserin erster Roman, „Robert Elsmere", wurde vom englischen Verleger mit 6000 M (120 000 Mark) honorirt. Ihr zweiter Roman, „David Grieve", erzielte das Dreifache der obigen Summe, und ebenso wurde das vorliegende Buch mit 18 000 M (360 000 Mark) bezahlt, so daß die 900 Seiten, welche es in den drei Bänden der Tauchnitz-Ausgabe ausfüllt, sich auf 400 Mark die Seite berechnen. Es ist uns leider nicht gelungen, mit diesem pecuniären Erfolg das Honorar zu vergleichen, welches dem Schöpfer des „Faust" zu Theil wurde. Allein wer in der Lage ist, dasselbe festzustellen, der mag uns sagen, wie der Sieg des Ewig-Weiblichen sich fortan auch ziffermäßig nachweifen läßt. Diefer Sieg ist, nach dem Maßstab des anglo - amerikanischen Publicums gemessen, ein so durchschlagender und vollständiger, daß die Kritik eigentlich nichts Besseres thun könnte, als ihn zu verzeichnen, sich zu fügen und zu verstummen. Und das um so mehr, als die gelehrte Verfasserin mit ihren Schätzen auch ihrerseits nicht geizt. „Robert Elsmere", ein junger Oxsorder, der in den Hörsaal Renan's sich verirrte, birgt die Errungenschaften der Tübinger Schule und der deutsch-französischen Bibelstudien unter den saltigen Gewändern englischer ästhetischer Damen, Under-Graduates und Doctoren der Theologie. „David Grieve" importirt die gleiche geistige Waare in Pariser Künstlerkreise. „Marcella" betrachtet das Thema als endgültig erschöpft. Allein auch sie erspart dem enthusiastischen Leser die Erwerbung einer Bibliothek, diesmal nicht kirchenhistorischen und exegetischen, sondern social-politischen Inhalts. Denn die sociale Frage, vom Standpunkte der Tories, als der vervehmten Besitzer des Bodens, der städtischen Demokratie, der Kohlendistricte, des Landarbeiters, des Proletariates in jeder Form, der Secten und Schulen nach jeder Doctrin, die sociale Frage und speciell der Jagdschutz, nach der Auslegung des Berussagitators, des Nihilisten, des Neuropathen, des Wilddiebes fast, hätten wir hinzugesügt, des nicht zum wenigsten betheiligten Lapinchen, alles Dieses und noch viel mehr findet sich in endlosen Dissertationen, geistreichen Gesprächen, mäßigen Scherzworten und je nach Bedürsniß vertheilten Nachtoder Plein-Air-Effecten angehäust. Die Heldin des Buches spricht in Leitartikeln, um welche die „Times" sie sicherlich beneidet. Ihre Liebhaber entgegnen mit