Heft 
(1894) 81
Seite
473
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Literarische Rundschau.

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Argumentationen, die den Rus von ein paar Dutzend hoffnungsvoller N. ?. be­gründen könnten. Einige Natnrschilderungen und Stimmungsbilder werden den Schlaf der Chrestomathien schlafen und wohl auch nebenbei die Nachtruhe der Mädchen- pensionate stören; discrete Citate aus allen leitenden Sprachen des europäischen Völkercentrums, dazu einige lateinische und ein griechisches geflügeltes Wort unter­brechen die elegante englische Prosa und zeigen den Doctorhut in geschmackvoller Perspective. Worth findet Andeutungen sür einige neue Toiletten, und Punch Material sür Carricaturen. Man kann nicht verschwenderischer, nicht vielseitiger und auch nicht objectiver sein als Mrs. Humphry Ward. Mit wahrhaft olym­pischer Ruhe werden in diesem ungeheuren social-politischen Panorama Licht und Schatten, Gewinn und Verlust vertheilt. Der Sturmlaus gegen das Capital endigt mit Anerkennung seiner Unentbehrlichkeit; die lange, mühevolle Fahrt durch das Utopien aller socialdemokratischen Zukunftsträume schließt mit einer Evocation an die durch Jahrtausende erprobte Weisheit der staatserhaltenden Elemente. Abgekühlt, wo nicht abgestoßen durch die lymphatisch vornehme Persönlichkeit von Aldous Raeburn, dem Erben von 60 000 E" Rente und einer Normannenpairie, der ach, zu bescheiden sich alsbalt a man . . . a man xerploxock >vllü too mneb tbinliing" bezeichnet, sucht und findet Marcella Boyce stürmischere Sensationen bei einem blondgelockten, verlornen Sohn aus ähnlichen gesellschaftlichen Sphären. Dieser Wharton ist einer jener talentvollen Abenteurer, wie sinkende Aristokratien sie stets für den populären Bedarf aus Lager zu halten pflegen. Ein Zufall nur, ein Spiel der Nerven, aber ein Zufall, um welchen die Götter sie beneiden könnten, fügt es, daß Marcella noch frei ist, als die Welt und sie erfahren, wo dieser blonde Abgott schwieliger Plebejer sie um den Judaslohn eines Cheque verrathen hat. Marcella kehrt zurück zu den Fleischtöpfen Aegyptens, zum edlen, philan­thropischen Lord, der noch immer zu haben und immer dankbar ist. Allein es ge­schieht mit Pathos, wie es sich für die erste Rollenträgerin des Romans von Eng­lands erster Schriftstellerin geziemt. Nicht Haller, nicht de Maistre, nicht Chateau­briand, nicht Stahl, nicht Disraeli, nicht Gladstone selbst in jenen fernen Tagen, da er noch anbetete, was er seither verbrannte, haben den conservativen Doctrinen edlere Huldigungen als das Bekenntniß dargebracht, mit welchem Marcella vom Leser scheidet:Sie war nicht mehr bereit, von den ,Venturisten* oder überhaupt von irgend Jemandem in der Welt fertige Systeme sich ausdrängen zu lassen. Sie hatte ausgehört, ganze Classen der civilisirten Gesellschaft mit Abscheu zu betrachten; in ihrer Seele war die Stimmung erwacht, die allen wahrhaft großartigen Auf­fassungen des Staates zu Grunde liegt, die Stimmung, welche die unentbehrlichen Institutionen jeder großen Civilisation, sei es den Besitz, oder die Gesetzgebung, oder den Cultus als bis zu einem gewissen Grade göttlich oder geheiligt betrachtet. Denn nicht eine derselben ist bloßes Menschenwerk. Sie alle durchglüht der Funke... tkat vvoiN8 our ela^." Wir bekennen, daß Marcella's spät gewonnene Einsicht uns ungleich stärker gewinnen würde, wenn sie selbst sympathischer, wenn es ihr gelungen wäre, uns beruhigendere Beweise der Urtheilsfähigkeit ihres Geistes und des Adels ihrer Gesinnung zu geben. Daß sie die erstere nicht besitzt, daß keine politische oder sociale Leimruthe ihr vergebens gereicht wurde, beklagt sie selbst. Das Ver­gehen ist ein durchaus jugendliches und unter Umständen auch ein durchaus ver­zeihliches. Nur darf der Glaube an Chimären nicht Hand in Hand gehen mit Pedanterie der Gelehrsamkeit aus zweiter Hand, mit einem Mangel an innerlicher Vornehmheit, wie beides bei Marcella der Fall. Die Pedanterie hat ihre intellec- tuelle Mutter ihr mit aus den Weg gegeben. Das moralische Manco ist ein Erbstück ihres Vaters, des declassirten, anrüchigen, vollendet unerträglichen Mr. Boyce. Niemand weiß das besser als die geistreiche Verfasserin. Je tactloser, nn- weiblicher, verletzender Marcella fühlt, spricht und handelt, um so eindringlicher und unermüdeter verbürgt Mrs. Humphry Ward sich dafür, daß Marcella stolz, ja stolz bis ins Innerste der Seele sei. Im ersten Bande allein kehrt die Versicherung nahe