Literarische Notizen.
475
c- Schiller's und Goethe's sämmtliche Werke. Neue, billige, große Octavausgabe. In eleganten Liebhaberbänden. Stuttgart, I. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger.
Mit den Bänden XV und XVI ist die Schiller-Ausgabe vollendet, die, wiewohl sie sich an ein allgemeines Publikum wendet, dennoch allen Anforderungen einer strengen Textkritik entspricht und in Hinsicht der Vollständigkeit alle neuesten Ergebnisse der Forschung in sich begreift. Karl Goedeke, der erste Herausgeber, hat einen trefflichen Fortsetzer gefunden, dessen Hand man nicht nur in den Einleitungen erkennt. Im fünfzehnten Band erhalten wir die durch Minor ans Licht gezogenen Journalartikel der Stuttgarter Zeit und den jetzt erst sichergestellten Antheil Schiller's an den Lernen. Der ' sechzehnte Band gibt den gesammten dramatischen Nachlaß, so daß man mit diesen „lange verabsäumten, unvergleichlichenReliquien" nunmehr auch Alles beisammen hat, was der Dichter seinem Volk als Fragment hinterlassen. Ein schöneres Weihegeschenk könnte man namentlich der Jugend nicht machen, als ihren Schiller in dieser gut gedruckten, gut gebundenen und dennoch sehr wohlfeilen Ausgabe. — Von den gleich ausgestatteten Werken Goethe's gingen uns die Bände XV—XVIII zu, Werther's Leiden, Briefe aus der Schweiz rc. und Wilhelm Meister's Lehr- und Wanderjahre umfassend. Da das Ganze auf dreißig Bände berechnet ist, dürfen wir hoffen, in nicht allzu ferner Zeit auch unfern Goethe in dieser musterhaften Ausgabe vollendet zu sehen.
Jllustrirte Elzevir-Ausgaben. Leipzig, Hermann Seemann.
Man kann sich nichts Reizenderes denken, als diese zierlichen Bändchen, in denen uns hier Goethe's und Schiller's klassische Balladen, Chamisso's Peter Schlemihl, Heine's Harzreise, Wilhelm Hausf's Phantasieen im Bremer Rathskeller und S h akesp eare's Romeo und Julia geboten werden. Es sind alte Bekannte, Lieblinge des Publikums, aber in so schmucker Erscheinung, daß man sie gern aufs Neue begrüßt und sich darüber freut, einige für den Zweck glücklich ausgewählte Cabin etsstücke der Literatur in einer Ausstattung zu erhalten, an der Alles hübsch und gefällig ist: das Format, der Druck, der Einband und nicht am wenigsten die Bilderchen und Vignetten im Text. Keine von allen Liebhabereien ist mehr der Pflege werth, als die für Bücher dieser Art.
(>. Esaias Tegner's Frithjofs - Sage.
Uebersetzt von Gottfried v- Le in bürg. Fünfzehnte durchgehends umgearbeitete Auslage. — König Helge. Eine Nordlandssage von A. Oehlenschläger. Drei Theile. Deutsch von Gottfried v. Lein bürg. Siebente durchgehends umgearbeitete Auflage. Leipzig, Carl Jacobsen. 1894.
Derselbe skandinavische Norden, der die Führerschaft in der Entwicklung des modernen Realismus übernommen hat, war auch die Heimath der beiden großen Romantiker Esaias Tegner und Adam Oehlenschläger; und in der
Geistesgeschichte der stammverwandten Völker ist der Moment unvergessen, wo der schwedische Dichter den dänischen mit dem Lorbeer krönte „im Namen des ew'gen Gesanges,, lauttönend in Hakon und Helge." Neben der „Frithjofs-Sage" hat in der That „König Helge" sich dauernd erhalten, und keine Wandlung der Zeit und des Geschmacks vermochte diese Nordlandspoesie der Macht zu berauben, die sie noch immer über die Seelen übt. Viel zu dieser unverminderten Geltung bei uns haben Gottfried v. Leinburg's ausgezeichnete Uebersetzungen beigetragen, von denen „KönigHelge" hier auch schon in der siebenten Auflage vorliegt. Die Verlagshandlung hat beide Bände vorzüglich ausgestattet, und zahlreiche neue Leser werden sich an den alten, ewig jungen Liedern von Frithjof und Jngeborg, an den Romanzen von Helge, der Tragödie von Ursa und dem Roman von Hroar erfreuen, k.a. Gottfried Keller's Leben. Seine Briefe und Tagebücher. Von Jakob Baechtold. Erster Band: 1819—1850. Zweiter Band: 1850—1861. Berlin, W. Hertz. 1894.
Wenn, und hoffentlich recht bald, wie bei allen guten Dingen die Dreizahl der Bände voll ist, werden wir eingehender darthun, welche Schätze der berufene Verwalter des Keller- Archivs vor uns aufbaut. Er selbst macht nur den Vor- und Zwischenredner, wie der Herold im alten schweizerischen Schauspiel seine Leute auf das Kommende vorbereitet, etwaige Lücken ausfüllt und eine Summa zieht. Dies Verfahren, das dem Werk einen autobiographischen, monologischen Charakter gibt, war in diesem Fall das einzig richtige, und mag gelegentlich etwa ein Vorwegnehmen in den einleitenden Abschnitten die Wirkung schwächen oder eine eingeschobene Zergliederung, ein allzulanges Citat aus den Nachlaßschriften Bedenken er regen, im Ganzen hat Baechtold seines Amtes so hingebend wie kundig gewaltet, eine anschauliche Familienchronik vorangestellt und theils mit Hülfe überlebender Genossen Keller's, theils durch eigenes emsiges Forschen eine Fülle von Erläuterungen beigebracht. Nur ein Landsmann konnte diesen Commentar geben. Keller's Jugendgeschichte ist die Entstehungsgeschichte des „Grünen Heinrich", dessen jahrelang stockende Drucklegung dann eine Passion für den Dichter ^ und den Verleger wurde. Andere Gewächse i zeigen ihre ersten Keime. Verworfenes und Skizzirtes wird, vielleichtzu reichlich, mitgetheilt.
! Wundervolle krause Bahnen beschreibt Keller's Phantasie in einem Traumbuch. Wir verfolgen j die Irrwege des Malers und in Briefen an ' den treuen Hettner den Wahn einer „theatra- ^ lischen Sendung", aber auch ernste und tragi- ! komische Täuschungen der Liebe. Ueberblickt ^ man das Münchener Malerelend, wie es sich ! in den Blättern an die Mutter ungebärdig äußert, die Berliner Dürftigkeit, die lange peinliche Muße in Zürich bis zum Staatsschreiberamt, so bleibt ein tiefes Staunen über die gesunde Kraft, die langsam jedes äußere Ungemach und jedes innere Hemmniß bewältigte, bei mancher Rohheit ihren Beruf und Adel nie verlor, im vaterländischen Bereich den Radica-