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Deutsche Rundschau.
lismus rasch überwand und, allem Literaten- thuin feind, zu großen dichterischen Thaten reifte. Alle ernsten und heiteren Dämonen der Keller'schen Poesie treiben auch in seinen Briefen ihr Wesen. Der zweite Band enthält unter Anderem Prachtstücke an Lina Duncker und an Ludmilla Assing, wo denn Verehrung für Onkel Varnhagen und Spottlust gegen die schrift- stellernds Nichte einen drolligen Strauß führen.
k. o. Eduard Mörike als Gelegenheitsdichter. Aus seinem alltäglichen Leben. Von Rudolf Krauß. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart. 1895.
Ein kleiner Band umfaßt den köstlichen lyrischen Lebensertrag des scheinbar schweigsamen Schwaben, dem ja Alles die Gelegenheit geboren hat. Was er an Gelegenheitsgedichten und -Verslein im engeren Sinn, manche mit überaus drolligen Zeichnungen, fortwährend der Familie und vertrauten Freunden, den Kindern wie den Großen spendete, hat ein treuer Stuttgarter, von dem wir noch eine reiche Briefbeute zu erwarten haben, sehr hübsch vereinigt und eingeleitet. Auch hier im Kleinen tönt ein lieblicher Nachhall der griechischen Anthologie mit allerlei sinnigen und unsinnigen, parodistisch lehrhaften oder ausgelassenen schwäbischen Weisen zusammen, zum wohligsten Behagen des Lesers und Beschauers. Es ist der gleiche stille Meister, der die in sich selbst selige Schönheit antiker Kleinkunst wie das Einmachen der „Kukumern" zu besingen wußte.
Cotta'scher Musen-Almanach. Fünfter Jahrgang. Herausgegeben von Otto Braun. Mit sechs Kunstbeilagen. Stuttgart. 1895. I. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger.
In der feinen und geschmackvollen Ausstattung, die wir an ihm gewohnt sind, bietet auch der neue Jahrgang des Musen-Almanachs sehr viel Schönes und Ansprechendes unter den vier Rubriken: Prosadichtungen, Poetische Erzählungen und Balladen, Lyrische und vermischte Gedichte, Spruchdichtung. Man erkennt es in einer gewissen inneren Harmonie, mit welcher Liebe der Herausgeber gesammelt und geordnet hat. Neben den bewährten Aelteren und Bekannten, wie Hermann Lingg, Georg Ebers,
l. G. Fischer, A. Fitger, Martin Greif, Wilhelm Hertz, Heinrich Kruse, Ad. Wilbrandt, Albert Möser, I. V. Widmann re., finden wir eine Reihe der Jüngeren, von denen wir besonders Karl Busse, Rudolf Krauß und Julius R. Haarhaus hervorheben. Des letzteren sinnreiche „Sonette aus Palermo" zeigen, daß der Süden immer noch seine magische Gewalt auf unsere Dichter ausübt; und wenn Ferdinand von Saar in seiner klassisch vollendeten Ode an Italien singt:
Jetzt, wo die Welt in eitler Selbstbewund'rung, Dem Erhabenen feind, sich gänzlich hingibt Platter Gegenwart und Vergangnes ab weist — so schöpfen wir vielmehr aus einer solchen Sammlung, wie die vorliegende, die freudige Gewißheit, daß das, was wir die gute Tradition nennen, in voller Lebenskraft bildend und schaffend unter uns fortwirkt.
L. Gedichte von Clotilde von Schwartz- koppen, geb. von Franyois. Zweite Auflage. Berlin, Vossische Buchhandlung. (Strikker).
Einfache, manchmal rührende Klänge, gleich denen einer Aeolsharfe, die von jedem noch so leisen Lufthauch bewegt wird. Leid und Freud', das ewig alte Menschenschicksal und ewig neue Thema des Gesanges, findet einen melodischen Ausdruck in dieser reiygestimmten Seele, die wohl entsagen gelernt hat, aber immer noch an ein bescheidenes Erdenglück glaubt, den Sonnenschein liebt und mit derselben Sympathie den Wechsel der Dinge, das unabänderlich Bleibende zu begreifen sucht: „Ein freier Blick zum Himmel, ein freier Blick ins Thal" ist der letzte Wunsch der Dichterin, die hier in strengster Sichtung uns den poetischen Ertrag ihres Lebens bietet, „vom Frühling bis in den Spätherbst hinein" — ein Bändchen von nicht mehr als siebzig Seiten. Eine Verwandte von Louise von Franyois, widmet sie dem Andenken dieser großen Schriftstellerin eines der schönsten Blätter der Sammlung, deren erstes die Zueignung an Frau Marie von Ebner-Eschenbach trägt. Unter dem Schutze dieser beiden Namen möge dem Büchlein ein freundliches Loos beschieden sein.
Philippine Welser. Eine L-childerung ihres Lebens und ihres Charakters von Wendelin Boeheim. Innsbruck, Verlag des Nusouiu IHUiunuctouni.
Einer landläufigen romantischen Auffassung gegenüber, die in Redwitzens Schauspiel süßlichen Ausdruck gefunden hat, wird hier treu nach der Geschichte und rm ruhigsten, nüchternen Ton erzählt, wie die Heirath Erzherzog Ferdinand's mit der schon etwas verblühten Augsburgerin zu Stande kam, und welch gesegnetes Dasein das Paar bis zu Philippinens schwerem Siechthum in Innsbruck führte. Der Verfasser macht uns heimisch im Ambraser Schloß und spendet auch aus dem Kochbuch kulturhistorische Belehrung. Für die Charakteristik Ferdinand's hätte wohl sein deutsches Drama, ein allegorischer Weltspiegel, verwerthet werden können. Eine Fülle ausgezeichneter Holzschnitte, besonders Bildnisse der Welserin, ist beigegeben, die Ausstattung ungemein geschmackvoll, der Preis erstaunlich billig. Wir verdanken diese Vorzüge dem Kunstverstündniß und der Munificenz des Freiherrn von Lipper- heide.
g. Porträt - Sammlung von 25 bekannten Persönlichkeiten. Nach Bleistiftzeichnungen von Jsmael Gentz. Mit Sinnsprüchen und kurzen Biographieen der Dargestellten. Reproduktionen in Photogravüre und Photolithographie von Meisenbach, Riffarth und Co. Berlin, F. Fontane und Co. 1894.
Geschmeichelt sind diese Porträts nicht, im Gegentheil könnte man in einigen vielleicht einen Ueberschuß des Charakteristischen erkennen; aber geistvoll sind sie sämmtlich, und in jedem Striche verräth sich die Genialität des jungen Künstlers. Jsmael Gentz ist der Erbe eines berühmten Namens: das Bild seines Vaters,