j62 - Theodor Fontane in Berlin. -
ihr gilt es doppelt: Machet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet? Betest Du, Grete?"
„Ja, Herr."
„Oft?"
„Jeden Abend."
Er fah, daß Grete zitterte und immer auf Trud blickte, aber nicht um Rath und Trostes willen, sondern aus Scham und Scheu. Und Gigas, der nicht nur das menschliche Herz kannte, sondern sich aus erbitterten Glaubens- kämpfen her auch einen Schatz achter Liebe gerettet hatte, wandte sich jetzt an Trud und sagte: „Ich spräche gern allein mit dem Kind. So's Euch gefällt, Frau Minde, wartet aus mich in Hof oder Garten. Ihr wißt den Weg."
Und damit erhob sich Trud und verließ das Zimmer. Grete folgte mit dem Ohr und wurd' erst ruhiger als sie die schwere Hofthür in den Rollen gehn und wieder zuschlagen hörte.
Auch Gigas hatte gewartet. Nun aber fuhr er fort: „Also jeden Abend betest Du, Grete. Das hör ich gern. Aber was betest Du?"
„Ich bete die sieben Bitten."
„Das ist gut. Aber was betest Du noch?"
„Ich bet' auch einen Spruch, den mich unsre alte Regine gelehrt hat."
„Das ist die Magd, die Dich großgezogen, eh' Deine Schwieger in's Haus kam?"
„Ja, Herr."
„Und wie lautet der Spruch? Ich möcht' ihn wohl hören. Denn sieh, Grete, das mußt Du wissen, ein für allemal, so wie wir beten, so sind wir. Es ist schon ein Zeichen, wie der Mensch zum Menschen spricht, aber wie der Mensch zu Gott spricht, das entscheidet über ihn. Da liegt es, gut oder böse. Willst Du mir den Spruch sagen? Du mußt Dich nicht fürchten vor mir. Sammle Dich und besinne Dich. Sieh, ich will Dir auch eine Rose schenken. Da. Und wie gut sie Dir kleidet. Du gleichest Deiner Mutter, aber nicht in allem, denk' ich. Denn Du weißt doch, daß sie sich zu dem alten Glauben hielt. Und sie mied mich, wenn ich in Euer Haus kam. Aber ich habe für sie gebetet. Und nun sage mir Deinen Spruch."
„Ich glaube, Herr, es ist ein Lied."
„Auch das ist gut. Spruch oder Lied. Aber beginne."
Und nun faltete Grete die Hände und sagte, während sie zu dem Alten anfsah :
Himmelwärts
Richte Gott mein sündig Herz,
Laß der Kranken und der Armen Mich in ihrer Noch erbarmen;
Was ich irdisch gebe hin,
Ist mir himmlischer Gewinn.
Gigas lächelte. Die Lieblichkeit des Kindes ließ das Feuer, das sonst wohl auf seiner Stirne hoch aufgeschlagen hätte, nicht übermächtig werden, und