Grete INinde.
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Waldstück, das damals noch die Elbhaide hieß, verirrt, und als der Abend hereinbrach und noch immer kein Ausweg sichtbar wurde, betete sic zur Mutter Gottes, ihr beiznstehen und sich ihrer Noth zu erbarmen. Und als sie so betete, da nahte sich ihr ein Hirsch, ein hoher Els-Ender, der legte sich ihr zu Füßen und sah sie an, als sprach' er: „ich bin es, besteige mich nur." Und sie bestieg muthig seinen Rücken, weil sie siihlte, daß ihr die Mutter Gottes das schöne Thier in Erhörung ihres Gebetes geschickt habe, und klammerte sich an sein Geweih. Der Hirsch aber trug sie, zwischen den hohen Stämmen hin, ans der Tiefe des Waldes heraus, bis an das Thor und in die Mitte der Stadt. Da blieb er und ließ sich fangen. Und die Stadt gab ihm ein eingehürdet Stück Weideland und hielt ihn in Schutz und Ansehen bis an seinen Tod. Und auch da noch ehrten sie das fromme Thier, das der Matter Gottes gedient hatte, und brachten sein Geweih nach Sanct Nikolai und hingen es neben dem Altarpfeiler auf. Den Wald aber, aus dem er die Jungfrau hinausgetragen, nannten sie den Lorenz-Wald- Und dahin ging es heut. Die Gewerke zogen ans mit Musik und Fahnenschwenken, und die Schulkinder folgten, Mädchen und Knaben, und begrüßten den Mai. Und dabei sangen sie:
Habt ihr es nicht vernommen?
Der Lenz ist angekommen!
Es sagen's euch die Vögelein,
Es sagews euch die Blümelein,
Der Lenz ist angekommen.
Ihr seht es an den Feldern,
Ihr seht cs an den Wäldern;
Der Kukuk ruft, der Finke schlägt,
Es jubelt, was sich froh bewegt,
Der Lenz ist angekommen!
Und auch Trud' und Gerdt, als der Nachmittag da war, hatten in guten: Muthe die Stadt verlassen. Grete mit -Reginen folgte. Draußen aber trafen sie die Zernitzens, alt und jung, die sich's auf mitgebrachten und umgestülpten Körben bequem geinacht und nun gar noch die Freud' und Genug- thuung hatten, die jungen Mindes, mit denen sie lieber als mit den andern Bürgersleuten verkehrten, an ihrer Seite Platz nehmen zu sehen. Auch Baltin und Grete begrüßten sich, und in Kurzem war alles Frohsinn und guter Laune, voran der alte Zernitz, der sich, nach Abtretung seines Platzes an Trud, aus den Rain hin gelagert, und sein sichtliches und immer wachsendes Gefallen daran hatte, der stattlichen, in vollem Staat erschienenen junge Frau, über ihre Schönheit allerlei Schönes zu sagen. Und diese, hart und herbe wie sie war, war doch Frau genug, sich der Schmeichelrede zu freuen. Emrentz drohte mit Eifersucht und lachte dazwischen, Gerdt summte vor sich hin oder steckte Butterblumenstielchen in einander, und inmitten von Scherz und Geplauder sah ein Jeglicher aus die sonnige Wiese hinaus, wo sich