Heft 
(1879) 26
Seite
166
Einzelbild herunterladen

Lkeodor Fontane in Berlin.

z66

bunte Gruppen um Buden und Caroussel drängten, Bürger nach der Taube schossen und Kinder ihren Ringelreihen tanzten. Ihr Singen klang von der großen Linde her herüber, an deren untersten Zweigen rothe und gelbe Tücher hingen.

So mocht' eine Stunde vergangen sein, als sie, von der Stadt her, gebückt auf seinem flandrischen Pferde, des alten Minde gewahr wurden. Inmitten seiner Einsamkeit war er plötzlich von einer tiefen Sehnsucht ersaßr worden, den Mai noch ein Mal mitzufeiern; und nun kam er den breiten Waldweg herauf, auf die Stelle zu, wo die Zernitzens und Mindes gemein­schaftlich lagerten. Ein Diener fchritt neben dem Pferde her nnd führte den Zügel. Was wollte der Alte? Wozu kam er? Und Trnd' und Gerdt empfingen ihn mit kurzen, rasch herausgestoßenen Fragen, die mehr nach Mißstimmung als nach Theilnahme klangen, und nur Grete freute sich von Herzen und sprang ihn: entgegen. Und als nun Decker: für ihn aus­gebreitet lagen, stieg er ab und fetzte sich an einen guten Platz, der den Waldesschatten über sich und die sonnenbeschienene Lichtung vor sich hatte. Grete pflückte Blumen nnd sagte:Soll ich Dir einen Kranz flechten?"

Aber der Alte lächelte:Noch nicht, Grete. Ich warte noch ein Weilchen."

Und sie sah ihn mit ihren großen Augen an und küßte stürmisch seine welke Hand. Denn sie wußte wohl, was er ineinte.

Eine Störung war sein Kommen gewesen, das empfanden Alle, vielleicht er selbst. Der alte Zernitz zeigte sich immer schweigsamer, Emrentz auch, und Trnd, um wenigstens zu sprechen, und vielleicht auch um der beob­achtenden Blicke Gretens überhoben zu sein, sagte zu dieser:Du solltest

unter die Linde gehen, Grete."

Und Baltin begleitet Dich," setzte Emrentz hinzu.

Beide wurden roth, denn sie waren keine Kinder mehr. Aber sie schwiegen nnd gingen auf die Wiese hinaus.Sie wollen allein sein," sagte Grete.Seien wir's auch." Und an den Schau- und Spielbuden vorbei,

nahmen sie, kreuz und quer, ihren Weg auf die kleinen nnd großen Gruppen

zu, die sich bei Ningelstechen und Taubenschießen erlustigten. Aber zu der Linde, wo die Kinder spielten, gingen sie nicht.

Es war sehr heiß, so daß sie bald wieder den Schatten anfsuchten, und jenseits der Lichtung angekommen, verfolgten sie jetzt einen halb­überwachsenen Weg, der sich immer tiefer in den Wald hineinzog. Es glühte schon irr den Wipfeln, da flog eine Libelle vor ihnen her und Grete sagte: Sieh, eine Seejnngfer. Wo die sind, da muß auch Wasser sein. Ein Sumpf oder ein Teich. Ob schon die Teichrosen blühn? Ich liebe sie so. Laß uns danach suchen."

Und so gingen sie weiter. Aber der Teich wollte nicht kommen, und

plötzlich überfiel es Greten:Wo sind wir, Baltin? Ich glaube, wir haben

uns verirrt."

Nicht doch. Ich höre ja noch Musik."

Und sie blieben stehen und horchten.