Heft 
(1879) 26
Seite
175
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Grete Min de.

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steilen, in die Rasenbettung eingeschnittenen Treppchens, das oben ans einen breiten, von zwei Thürmen flankirten Wallgang mündete. Zwischen diesen Thürmen aber lief eine dicke, niedrige Feldsteinmaller, die nur nm ein Paar Fuß höher war als der Wallgang selbst. Und ans diese Mauer setzten sie sich und sahen in die Landschaft hinaus. Zu Füßen hatten sie den breiten Strom und die schmale Tanger, die spitzwinklig in den Strom einmündete, drüben aber, am andern Ufer, dehnten sich die Wiesen, und dahinter lag ein Schattenstrich, aus dessen Lichtungen hier und dort eine vom Abendroth übergoldete Kirchthurmspitze hervorblickte. Der Himmel blau, die Luft- frisch; Sommerfäden zogen, und in das Geläut der ersten heimwärts ziehenden Heerden mischte sich von weit her das Anschlägen der Abendglocke.

Ach, wie schön," sagte Grete.Jahr und Tag, daß ich nicht hier oben war. Und mir ist fast, als hätll ich es nie gesehen."

Das macht, daß wir einen so schönen Tag haben," sagte Valtin.

Nein, das macht, daß es hier so frisch und so weit ist, und zu Halls ist es so dumpf und so eng. Da bin ich wie gefangen und eingemanert, ein­gemauert wie die Stendal'sche Nonne, von der mir Regine so oft erzählt hat."

Und Du möchtest fort."

Lieber heut als morgen. Entsinnst Du Dich noch, Machest vor'm Jahr, als wir lins verirrt hatten und aus den Hirsch warteten, der uns ans dem Walde hinaustragen sollte!"

Valtiil nickte.

Sieh, da sprachst Tu von einem Thal, das tief in Bergen läg', lind der Sturm ginge drüber hin, und wäre kein Krieg und die Menschen liebten einander. Und ich weiß, daß ich das Thal in Wachen und in Träumen sah. Viele Wochen lang. Und ich sehnte mich danach und wollte hin. Aber heute will ich mir noch fort, nur noch weg aus nnserm Haus. Wohin ist gleich. Es schnürt mir die Brust zusammen und ich habe keinen Athem mehr."

Aber Du hast doch die Regine, Grell. Und Gigas ist gut mit Dir. Und dann sieh, Emrentz kann Dich leiden. Ich weiß es; sie hat mir's selber

gesagt, keine drei Tag' erst, als ich mein' Aussprach' mit ihr hatll. Und

dann, Grete, Du weißt ja, dann hast Du mich."

Sie blickte sich scheu-verlegen um. Und als sie sah, daß sie von nie­mand belauscht wurden, trat sie rasch auf ihn zu, strich ihm das Haar aus der Stirn und sagte:Ja, Dich Hab ich. Und ohne Dich wär' ich schon todt."

Valtin zitterte vor Bewegung. Er erkannte wohl, wie tief-unglücklich sie sei, und sagte nur:Was ist es, Grete? Sag' es. Vielleicht, daß

ich es mit Dir tragen kann. Was drückt Dich?"

Das Leben."

Das Leben?" Und er sah sie vorwurfsvoll an.

Nein, nein. Vergiß es. Nicht das Leben. Aber der Tag druckt

mich; jeder; heute, morgen, und der folgende wieder. Endlos, endlos. Und

ist kein Trost und keine Hülfe."