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Ueber den gegenwärtigen iötand der j^estfra^e.
von
Isidor Sontta.
— München. —
ls zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Cholera, eine bis dahin in Europa ungekannte Seuche, in nichtgeahnter Weise ihre Verheerungen auszudehnen begann, da wurden vielfach ärztliche Stimmen laut, die eine Invasion Europa's durch dieselbe förmlich herbei- wünschteu, in der festen Ueberzeugnng, man werde, nach dein dermaligen Stande der Wissenschaft, leicht Herrschaft über dieselbe erlangen, ihr wahres, innerstes Wesen leicht ergründen und damit auch die Mittel zur erfolgreichen Bekämpfung finden. Die damalige, naturphilosophische Richtung der Medieiu, ebenso reich an n priori ersonnenen Theorien als an unendlichen Recepten, und in dem Bewußtsein, „wie sie's denn zuletzt so herrlich weit gebracht", Pochte stolz auf ihre bisherigen, vermeintlichen Erfolge und fühlte sich gerüstet gegen jedes neue Uebel.
Unsere Generation ist, auch ohne Berücksichtigung der demüthigeuden Erfahrungen dieser Vergangenheit, in der Schätzung des Maßes ihrer Leistungen bescheidener geworden, und wenn es eines Beweises bedarf, daß die heutige, auf naturwissenschaftlichen Principien aufgebante Medieiu, trotz der gerade durch diese Richtung erzielten, so bedeutenden Fortschritte, sich der Grenzen ihrer Erkenntniß, ihrer Leistungsfähigkeit bewußt ist, so liefert ihn das Verhalten ihrer Vertreter in der allerneuesten Zeit, wo wieder einmal das grause Gespenst der Pest seine mächtigen und weitreichenden Fangarme drohend nach Europa ausstreckt, Tod und Entsetzen durch seine Annäherung verbreitend.
Denn neben dein Bestreben, die Natur dieser Krankheit kennen zu lernen, war die erste und hauptsächlichste Sorge darauf hin gerichtet, dieser verheerenden Seuche den Zutritt überhaupt zu verwehren, ihre Ausbreitung, ihre Weiter-