66
Theodor Fontane in Berlin.
War eben immer dasselbe Lied. Alles was er sagte, kam aus einem Herzen voll Gütigkeit und Nachsicht, aber die Form, in die sich diese Nachsicht kleidete, verletzte wieder. Er behandelte das, was vorgefallen, aller Erschütterung unerachtet, doch bagatellmäßig obenhin und mit einem starken Anfluge von cynischem Humor. Es war wohlgemeint, und die von ihm geliebte Frau sollte, seinem Wunsche nach, den Vortheil davon ziehn. Aber ihre vornehmere Natur sträubte sich innerlichst gegen eine solche Behandlungsweise. Das Geschehene, das wußte sie, war ihre Verurtheilung vor der Welt, war ihre Demüthigung, aber es war doch auch zugleich ihr Stolz, dies Einsetzen ihrer Existenz, dies rückhaltlose Bekenntnis; ihrer Neigung. Und nun plötzlich sollt' es nichts sein, oder doch nicht vielmehr als nichts, etwas ganz Alltägliches, über das sich hinwegsehn und hinweggehen lasse. Das widerstand ihr. Und sie fühlte deutlich, daß das Geschehene verzeihlicher war, als seine Stellung zu dem Geschehenen. Er hatte keinen Gott und keinen Glauben, und es blieb nur das Eine zu seiner Entschuldigung übrig: daß sein Wunsch, ihr goldne Brücken zu bauen, sein Verlangen nach Ausgleich um jeden Preis, ihn anders hatte sprechen lassen, als er in seinem Herzen dachte. Ja, so war es. Aber wenn es so war, so konnte sie dies Gnadengeschenk nicht annehmen. Jedenfalls wollte sie's nicht.
„Du meinst es gut, Ezel", sagte sie. „Aber es kann nicht sein. Es hat eben Alles seine natürliche Consequenz, und die, die hier spricht, die scheidet uns. Ich weiß wohl, daß auch Auderes geschieht, jeden Tag, und es ist noch keine halbe Stunde, daß mir Christel davon vorgeplaudert hat. Aber einem Jeden ist das Gesetz in's Herz geschrieben, und danach fühl' ich, ich muß fort. Du liebst mich, und deshalb willst Du darüber Hinsehen. Aber Du darfst es nicht und Du kannst es auch nicht. Denn Du bist nicht jede Stunde derselbe. Keiner von uns. Und keiner kann vergessen. Erinnerungen aber sind mächtig. Und Fleck ist Fleck, und Schuld ist Schuld".
Sie schwieg einen Augenblick und bog sich rechts nach dem Kamin hin, um ein Paar Kohlenstückchen in die jetzt hellbrennende Flamme zu werfen. Aber plötzlich, als ob ihr ein ganz neuer Gedanke gekommen, sagte sie mit der ganzen Lebhaftigkeit ihres früheren Wesens: „Ach, Ezel, ich spreche von Schuld und wieder Schuld, und es muß beinah klingen, als sehnt' ich mich danach, eine büßende Magdalena zu sein. Ich schäme mich ordentlich der großen Worte. Aber freilich, es giebt keine Lebenslagen, in denen man aus der Selbsttäuschung und dem Komödienspiele herauskäme. Wie steht es denn eigentlich? Ich will fort, nicht aus Schuld, sondern aus Stolz und will fort, um mich vor mir selber wieder herzustellen. Ich kann das kleine Gefühl nicht länger ertragen, das an aller Lüge haftet; ich will wieder klare Verhältnisse sehen und will wieder die Augen aufschlagen können. Und das kann, ich nur, wenn ich gehe, wenn ich mich von Dir trenne und mich offen unv vor aller Welt zu meinem Thun bekenne. Das wird, ein groß' Gerede