L'Adultera.
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geben, und die Tugendhaften und Selbstgerechten werden es mir nicht ver- zeihn. Aber die Welt besteht nicht aus lauter Tugendhaften und Selbstgerechten, sie besteht auch aus Menschen, die Menschliches menschlich ansehen. Und auf die Hofs ich, die brauch' ich. Und vor allem brauch' ich mich selbst. Ich will wieder in Frieden mit mir selber leben und wenn nicht in Frieden, so doch wenigstens ohne Zwiespalt und zweierlei Gesicht".
Es schien, daß Van der Straaten antworten wollte, aber sie litt es nicht und sagte: „Sage nicht nein. Es ist so und nicht anders. Ich will den Kopf wieder Hochhalten und mich wieder fühlen lernen. Alles ist eitle Selbstgerechtigkeit. Und ich weiß auch, es wäre besser und selbstsuchtsloser, ich bezwange mich und bliebe, freilich immer vorausgesetzt, ich könnte mit einer Einkehr bei mir selbst beginnen. Mit Einkehr und mit Reue. Aber das kann ich nicht. Ich habe nur ein ganz äußerliches Schuldbewußtsein, und wo mein Kopf sich unterwirft, da protestirt mein Herz. Ich nenn' es selber ein störrisches Herz und ich versuche keine Rechtfertigung. Aber es wird nicht anders durch mein Schelten und Schmähen. Und sieh, so hilft mir denn Eines nur und reißt mich Eines nur aus mir heraus: ein ganz neues Leben und in ihm das, was das erste vermissen ließ: Treue. Laß mich gehen. Ich will nichts beschönigen, aber das laß mich sagen: es trifft sich gut, daß das Gesetz, das uns scheidet und mein eignes selbstisches Verlangen zusammenfallen".
Er hatte sich erhoben, um ihre Hand zu nehmen, und sie ließ es geschehen. Als er sich aber niederbeugen und ihr die Stirn küssen wollte, wehrte sie's und schüttelte den Kops. „Nein, Ezel, nicht so. Nichts mehr zwischen uns, was stört und verwirrt und quält und ängstigt, und immer nur erschweren und nichts mehr ändern kann . . . Ich werd' erwartet. Und ich will mein neues Leben nicht mit einer Unpünktlichkeit beginnen. Unpünktlich sein, ist unordentlich sein. Und davor Hab ich mich zu hüten. Es soll Ordnung in mein Leben kommen, Ordnung und Einheit. Und nun leb wohl und vergiß".
Er hatte sie gewähren lassen, und sie nahm die kleine Reisetasche, die neben ihr stand und ging. Als sie bis an die Tapetenthür gekommen war, die zu der Kinderschlafstube führte, blieb sie stehen und sah sich noch einmal um. Er nahm es als ein gutes Zeichen und sagte: „Du willst die Kinder sehen!"
Es war das Wort, das sie gefürchtet hatte, das Wort, das in ihr selber sprach. Und ihre Augen wurden groß, und es flog um ihren Mund, und sie hatte nicht die Kraft ein „Nein" zu sagen. Aber sie bezwang sich und schüttelte nur den Kopf und ging auf Thür und Flur zu.
Draußen stand Christel, ein Licht in der Hand, um ihrer Herrin das Täschchen abzunehmen und sie die beiden Treppen hinabzubegleiten. Aber Melanie wies es zurück und sagte: „laß Christel, ich muß nun meinen Weg allein finden". Und auf der zweiten Treppe, die dunkel war, begann sie wirklich zu suchen und zu tappen.