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Theodor Fontane in Berlin.
darf, so bin ich stolz daraus. Ich wollte gehn, das stand fest. Und wenn ich die Kinder sah, so könnt' ich nicht gehn. Und so hatt' ich denn meine Wahl zu treffen. Ich mag eine falsche Wahl getroffen haben, in den Angen der Welt Hab ich es gewiß, aber es war wenigstens ein klares Spiel und offen und ehrlich. Wer aus der Ehe fortläuft und aus keinem andern Grund als aus Liebe zu einem andern Manne, der begiebt sich des Rechts, nebenher auch noch die zärtliche Mutter zu spielen. Und das ist die Wahrheit. Ich bin ohne Blick und ohne Abschied gegangen, weil es mir widerstand, Unheiliges und Heiliges durch einander zu werfen. Ich wollte keine sentimentale Verwirrung. Es steht mir nicht zu, mich meiner Tugend zu berühmen. Aber eines Hab ich wenigstens, Riekchen: ich habe feine Nerven für das was paßt und nicht paßt".
„Und möchtest Du jetzt sie sehen?"
„Heute lieber als morgen. Jeden Augenblick. Bringst Du sie?"
„Nein, nein, Melanie, Du bist zu rasch. Aber ich habe mir einen Plan ausgedacht. Und wenn er glückt, so laß ich wieder von mir hören. Und ich komm' entweder oder ich schreibe oder Jacobine schreibt. Denn Jacobine muß uns dabei helfen. Und nun Gott befohlen, meine liebe, liebe Melanie. Laß nur die Leute. Du bist doch ein liebes Kind. Leicht, leicht, aber das Herz sitzt an der richtigen Stelle. Und nun Gott befohlen, mein Schatz".
Und sie ging und weigerte sich das Mäntelchen anzuziehn, weil sie gerne rasch abbrechen wollte. Aber eine Treppe tiefer blieb sie stehn und half sich mit einiger Mühe selbst in die kleinen Aermel hinein.
Melanie war überaus glücklich über diesen Besuch, zugleich sehnsüchtig erwartungsvoll, und mitunter war es ihr, als träte das Kleine, das nebenan in der Wiege lag, neben dieser Sehnsucht zurück. Gehörte sie doch ganz zu jenen Naturen, in deren Herzen Eines immer den Vorrang behauptet.
Und so vergingen Wochen und Ostern war schon nahe heran, als endlich ein Billet abgegeben wurde, dem sie's ansah, daß es ihr gute Botschaft bringe. Es war von der Schwester, und Jacobine schrieb:
„Meine liebe Melanie! Wir sind allein und gesegnet seien die Landesvermessungen! Es sind das, wie Du vielleicht weißt, die hohen, dreibeinigen Gestelle, die man, wenn man mit der Eisenbahn fährt, überall deutlich erkennen kann und wo die Mitsahrenden im Coupse jedesmal fragen: „mein Gott, was ist das?" Und es ist auch nicht zu verwundern, denn es sieht eigentlich aus wie ein Malerstuhl, nur daß der Maler sehr groß sein müßte. Noch größer und langbeiniger als Gabler. Und erst in vierzehn Tagen kommt er zurück, worauf ich mich sehr, sehr freue und eigentlich schon Sehnsucht habe. Denn er hat doch entschieden das, was uns Frauen gefällt. Und früher hat er Dir auch gefallen, ja Herz, das kannst Du nicht leugnen,