L'Adultera.
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perhorrescire das. Und das Beste wird sein, Du gehst früh zu Bett und schläfst es aus. Und wenn wir uns morgen früh Wiedersehen, wirst Du mir vielleicht zustimmen, daß Lydia Bescheidenheit lernen muß und daß zehnjährige dumme Dinger, Fräulein Liddi mit eingeschlossen, nicht dazu da sind, sich zu Sittenrichterinnen ihrer eigenen Frau Mama aufzuwerfen".
„Ach, Rüben, das sagst Du nur so. Du fühlst es anders und bist zu klug und zu gerecht, als daß Du nicht wissen solltest, das Kind hat Recht".
„Es mag Recht haben. Aber ich auch. Und jedenfalls giebt es Ernsteres als das. Und nun Gott befohlen".
Und er nahm seinen Hut und ging.
Melanie wachte noch, als Rubehn wieder nach Hause kam. Aber erst am andern Morgen fragte sie nach der Conferenz und bemühte sich darüber zu scherzen. Er seinerseits antwortete in gleichem Ton und war wie gestern ersichtlich bemüht mit Hülfe lebhaften Sprechens einen Schirm aufzurichten, hinter dem er, was eigentlich in ihm vorging, verbergen konnte.
So vergingen Tage. Seine Lebhaftigkeit wuchs, aber mit ihr auch seine Zerstreutheit, und es kam vor, daß er mehrere Male dasselbe fragte. Melanie schüttelte den Kopf und sagte: „ich bitte Dich, Rüben, wo bist Du? sprich". Aber er versicherte nur, „es sei nichts, und sie forsche, wo nichts zu forschen sei. Zerstreutheit wäre ein Erbstück in der Familie, kein gutes, aber es sei einmal da, und sie müsse sich damit einleben und daran gewöhnen". Und dann ging er, und sie fühlte sich freier, wenn er ging. Denn das rechte Wort wurde nicht gesprochen und er, mit dem sie die Last der Einsamkeit zu theilen gehabt hätte, verdoppelte sie nur durch seine Gegenwart.
Und nun war Ostern. Anastasia sprach am Ostersonntag auf eine halbe Stunde vor, aber Melanie war froh, als das Gespräch ein Ende nahm und die mehr und mehr unbequem werdende Freundin wieder ging. Und so kam auch der zweite Festtag, unfestlich und unfreundlich wie der erste, und als Rubehn über Mittag erklärte, „daß er abermals eine Verabredung habe", konnte sie's in ihrer Herzensangst nicht länger ertragen und sie beschloß in die Kirche zu gehn und eine Predigt zu hören. Aber wohin? Sie kannte Prediger nur von Taufen und Hochzeiten her, wo sie neben frommen und nicht frommen manch liebes Mal bei Tisch gesessen und beim nach Hause kommen immer versichert hatte: „Geht mir doch mit Eurem Pfaffenhaß. Ich habe mich mein Lebtag nicht fo gut unterhalten, wie heute mit Pastor Kapsel. Ist das ein reizender alter Herr! Und so humoristisch und beinahe witzig. Und schenkt einem immer ein und stößt an und trinkt selber niit, und sagt einem verbindliche Sachen. Ich begreif' Euch nicht. Er ist doch interessanter als Reifs oder gar Duquede".
Aber nun eine Predigt! Es war seit ihrem Einsegnungstage, daß sie keine mehr gehört hatte.
Endlich entsann sie sich, daß ihr Christel von Abendgottesdiensten