erzählt hatte. Wo doch? In der Nicolaikirche. Richtig. Es war weih aber desto besser. Sie hatte so viel Zeit übrig und die Bewegung in der frischen Luft war seit Wo chen ihr einziges Labsal. So machte sie sich auf den Weg und als sie die große Petristraße passirte, sah sie zu den erleuchteten Fenstern des ersten Stockes auf. Aber ihre Fenster waren dunkel und auch keine Blumen davor. Und sie ging rascher und sah sich um, als verfolge sie wer, und bog endlich in den Nicolaikirchhof ein.
Und nun in die Kirche selbst.
Ein paar Lichter brannten im Mittelschiff, aber Melanie ging an der Schattenseite der Pfeiler hin, bis sie der alten, reichgeschmückten Kanzel gerat? gegenüber war. Hier waren Bänke gestellt, nur drei oder vier, und auf den Bänken saßen Waisenhauskinder, lauter Mädchen, in blauen Kleidern und weißen Brusttüchern, und dazwischen alte Frauen, das graue Haar unter einer schwarzen Kopfbinde versteckt, und die meisten einen Stock in Händen oder eine Krücke neben sich.
Melanie fetzte sich auf die letzte Bank und sah, wie die kleinen Mädchen kicherten und sich anstießen und immer nach ihr hinsahen und nicht begreifen konnten, daß eine so feine Dame zu solchem Gottesdienste käme. Denn es war ein Armen-Gottesdienst und deshalb brannten auch die Lichter so spärlich. Und nun schwieg Lied und Orgel, und ein kleiner Mann erschien auf der Kanzel, dessen sie sich, von ein paar großen und überschwänglichen Bourgeois-Begräbnissen her, sehr wohl entsann, und von dem sie mehr als einmal in ihrer übermüthigen Laune versichert hatte, „er spräche schon vorweg im Grabstein-Stil. Nur nicht so kurz". Aber heute sprach er kurz und pries auch keinen, am wenigsten überschwänglich, und war nur müd und angegriffen, denn es war der zweite Feiertag Abend. Und so kam es, daß sie nichts Rechtes für ihr Herz finden konnte, bis es zuletzt hieß: „Und nun, andächtige Gemeinde, wollen wir den vorletzten Vers unsres Oster-Liedes singen". Und in demselben Augenblicke summte wieder die Orgel und zitterte, wie wenn sie sich erst ein Herz fassen oder einen Anlauf nehmen müsse, und als es endlich voll und mächtig an dem hohen Gewölbe hinklang und die Spittelfrauen mit ihren zittrigen Stimmen einfielen, rückten zwei von den kleinen Mädchen halb schüchtern an Melanie heran und gaben ihr das Gesangbuch und zeigten auf die Stelle. Und sie sang mit:
Du lebst, du bist in Nacht mein Licht,
Mein Trost in Noth und Plagen,
Du weißt, was alles mir gebricht,
Du wirst mir's nicht versagen.
Und bei der letzten Zeile reichte sie den Kindern das Buch zurück und dankte freundlich und wandte sich ab, um ihre Bewegung zu verbergen. Dann aber murmelte sie Worte, die ein Gebet vorstellen sollten, und es vor dem Ohre dessen, der die Regungen unseres Herzens hört, auch wohl waren und verließ die Kirche so still und seitab, wie sie gekommen war.
In ihre Wohnung zurückgekehrt, fand sie Rubehn an seinem Arbeitstische