Heft 
(1880) 40
Seite
94
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Theodor Fontane in Berlin.

Es war schon Ausgangs October und nur wenig gelbes und rothes Laub hing noch an den halb kahl gewordenen Bäumen. Das Meiste lag abgeweht in den Gängen und wurde, wo's trocken war, zusammengeharkt, denn seit gestern hatte sich das Wetter wieder geändert und nach langen Sturm- und Regentagen schien eine wundervolle Herbstessonne. Vielleicht die letzte dieses Jahres.

Und auch Aninettchen wurde hinausgeschickt und blieb heute länger fort als erwartet, bis endlich um die vierte Stunde die Magd in großer Auf­regung heimkam und in ihrem schweren Schweizer-Deutsch über ein eben gehabtes Erlebniß berichtete. Sie Hab' auf der Bank g'sesse, wo die vier Löwe das Bruckle halte, und hätt' ebe g'sagt:Sieh, Aninettle, des

isch der alt Weibersommer, der will Di einspinne, aber der hat Di no lang nit", un das Aninettl hat grad g'juchzt un lacht un n'am Ohrring g'langt, do wäre zwei Herre über die Brück komme, so gute fünfzig, aber schon auf der Wipp, und einer hätt g'sagt, e langer Spindelbein:Schau des Silber­kettle; des isch e Schweizerin; un i wett, des isch e Kind vom Schweizer G'sandte". Aber do hat der andre g'sagt:nei, des kann nit sein; den Schlveizer G'sandte, den kenn i, un der hat kein Kind un kein Kegel ..." Un do hat er z'mir g'sagt:ah nu, wem g'hört des Kind?" Un da Hab i g'sagt:dem Herr Rubehn, un's isch e Mädle, un heißt Aninettl".

Un do Hab' i g'sehn, daß er sich verfärbt hat und hat wegg'schaut eine

Weil. Aber nit lang, da hat er sich wieder umg'wandt und hat g'sagt: 's isch d' Mutter, und lacht auch so, un hat dieselbe schwarze Haar'. Es isch e schön's Kindle. Findscht nit au?" Aber er hat's nit finde wolle

und hat nur g'sagt:Uebertax es nit. Es giebt mehr so. Un's ischt e

Kind aus 'm Dutzend". Jo, so hat er g'sagt, der garstige Spindelbein:'s giebt mehr so, un 's ischt e Kind aus'm Dutzend". Aber der gute Herre,

der hat's Pätschle g'nomme un hat's g'streichelt. Un hat mi g'lobt, deß

i so brav un g'scheidt sei. Jo, so hat er g'sagt. Und dann sind sie gange".

All das hatte seines Eindrucks nicht verfehlt und Melanie war während der Tage, die folgten, immer wieder auf diese Begegnung zurückgekommen. Immer wieder und wieder hatte die Vreni jedes Kleinste nennen und be­schreiben müssen, und so war es durch Wochen hin geblieben, bis endlich in den großen und kleinen Vorbereitungen zum Feste der ganze Vorfall vergessen worden war.

Und nun war das Fest selber da, der heilige Abend, zu dem auch diesmal Rubehns jüngerer Bruder und der alte Procurist, die sich zur Rück­kehr nach Frankfurt nicht hatten entschließen können, geladen waren. Auch Anastasia.

Melanie, die noch, vor Eintreffen ihres Besuchs, allerlei Wirthschaftliches anzuordnen hatte, war ganz Aufregung und erschrak ordentlich, als sie gleich nach Dunkelwerden und lange vor der festgesetzten Stunde die Klingel gehen hörte. Wenn das schon die Gäste wären! Oder auch nur einer von ihnen.