L'Adultera.
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Aber ihre Besorgniß währte nicht lange, denn sie hörte draußen ein Fragen und Parlamentiren und gleich darauf erschien das Vrenel und trug eine mittelgroße Kiste herein, auf der, ohne weitere Namens-Angabe, blos das eine Wort „Julklapp" zu lesen war.
„Ist es denn für uns, Vreni?" fragte Melanie.
„I denk schon. I Hab' ihm g'sagt: „'s isch der Herr Rubehn, der hier wohnt. Un die Frau Rubehn". Un do hat er g'sagt: „'s isch schon recht; des isch der Nam'". Un do Hab' i's g'nomme".
Melanie schüttelte den Kopf und ging in Rubehns Stube, wo man sich nun gemeinschaftlich an das Oessnen der Kiste machte. Nichts fehlte von den gewöhnlichen Julllapps-Zuthaten, und erst als man, unten am Boden, eines großen Gravensteiner Apfels gewahr wurde, sagte Melanie: „Gieb Acht.
Hierin steckt es". Aber es ließ sich nichts erkennen, und schon wollte sie den Gravensteiner, wie alles andere, bei Seite legen, als sich durch eine zufällige Bewegung ihrer Hand die geschickt zusammengepaßten Hälften des Apfels auseinander schoben. ,,^b, voila". Und wirklich an Stelle des Kernhauses, das herausgeschnitten war, lag ein in Seidenpapier gewickeltes Päckchen. Sie nahm es, entfernte langsam und erwartungsvoll eine Hülle nach der andern und hielt zuletzt ein kleines Medaillon in Händen, einfach ohne Prunk und Zierrath. Und nun drückte sie's an der Feder auf und sah ein Bildchen und erkannt' es und es entfiel ihrer Hand. Es war, sn. miniaturs, der Tintoretto, den sie damals so lachend und übermüthig betrachtet und für dessen Hauptfigur sie nur die Worte gehabt hatte: „Sieh, Ezel, sie hat geweint. Aber ist es nicht, als begriffe sie kaum ihre Schuld?"
Ach, sie fühlte setzt, daß das alles auch für sie selbst gesprochen war, und sie nahm das ihrer Hand entfallene Bildchen wieder auf und gab es an Rüben und erröthete.
Dieser spielte damit hin und her und sagte dann, während er die Feder wieder zuknipste: „Uin^ in aU llis glorios! Immer der
selbe. Wohlwollend und ungeschickt. Ich werd' es tragen. Als Uhrgehäng, als Verlogne".
„Nein, ich. Ach, Du weißt nicht, wie viel es mir bedeutet. Und es soll mich erinnern und mahnen . . . jede Stunde ..."
„Meinetwegen. Aber nimm es nicht tragischer als nöthig und grüble nicht zuviel über das alte leidige Thema von Schuld und Sühne".
,,Dn bist hochmüthig, Rüben".
,,Nein".
,,Nnn gut. Dann bist Du stolz".
„Ja, das bin ich, meine süße Melanie. Das bin ich. Aber auf
was? Auf wen?"
Und sie umarmten sich und küßten sich, und eine Stunde später brannten ihnen die Weihnachtslichter in einem ungetrübten Glanz.
Nord und Süd. XVI., 40 .
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