Issue 
(1880) 40
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Lin Blick von der politischen warte.

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dem glatten Parquet seiner politischen Soireen erscheint, nnd dessen Ange bei allem Selbstbewußtsein freudig erglänzt, daß endlich sein Fuß diesen historischen Boden betreten hat. Aber es ist in Allem keine rechte Liebe zur Sache erkennbar, ist Alles nur eitel diplomatische Kunst. Tief in seiner Seele ist der Kanzler kein Parlamentarier, und zum Mindesten ist ihm das Parlament nicht der Urquell politischer Machtfülle, wie es der Fall sein müßte, wenn Alles bei ihm recht bestellt wäre. So urtheilt der deutsche Parlamentarier, und zieht dabei gern die ihm naheliegende Parallele zu der Stellung seines englischen Eollegen. Dem Kenner englischer Verhältnisse mag das als Ueberhebung erscheinen; der deutsche Politiker hat nicht leicht die gleiche Empfindung. Ist die Eigenart des deutschen Volkscharakters im Allgemeinen schwer verständlich, so ist sie nirgends sonderbarer, als auf dem Gebiete der Politik. Hier mangelt nicht nur die Bescheidenheit, welche den Deutschen sonst unzweifelhaft kennzeichnet; hier ist ihm sogar etwas eigen, was er aus anderen Gebieten, zumal in der Wissenschaft, mit grenzenlosem Spott verfolgt der Hang zur Pfuscherei. Nichts behandelt der Deutsche dilettantisch, ausgenommen allein die Politik. Selbst der. strenge Gelehrte, der in seiner Wissenschaft mit jedem Worte vorsichtig kargt, unterliegt gern der Versuchung, seine dilettantischen Leistungen aus politischem Gebiete für Meisterstücke anzusehen und auszugeben. Und die Wirkung entspricht der Leistung; sie bestätigt die Wahrheit des Dichterwortes, daß ächte Vertiefung die Seele mit Qual erfüllt, während die Pfuscherei glücklich macht. Skepsis und Hang zur politischen Pfuscherei diese beiden Begriffe werden die spätesten Geschlechter unserer Landsleute in ihren Wirkungen zu ergründen haben, so oft sie sich des Geistes deutscher Geschichte werden bemeistern wollen.

Und noch ein Anderes. Keinem Volke liegt auf dem Gebiete der Politik die Idee so weit ab von der That, als unseren braven Landsleuten. Am Abende, unter der Wirkung des nationalen Trankes wächst sich gar mancher deutsche Spießbürger zum politischen Helden aus. Dann wettert er über die Armee, und enthüllt im höchsten Affect den erhitzten Köpfen der Freunde seine acht republikanische Gesinnung. Ist am Morgen der Rausch verflogen, so liest er hinter dem Ladentisch oder in der Werkstatt mit Be­hagen den Zeitungsbericht über die letzte Parade, und blinzelt zuweilen sehn­süchtig hinüber nach dem goldenen Schilde des Nachbars Hoflieferanten. Wie würde sein Gesicht sich verlängern, wenn ein Genosse des vergangenen Abends ihn in dieser Stunde zum sofortigen Beginn des Barricadenbaus ermahnen wollte.

Freilich rekrutiren sich aus diesen: Material nicht die Parlamente, sondern nur die Bezirksversammlungen. Aber welcher Art ist denn das Holz, aus dem, eine kleine Schaar abgerechnet, der deutsche Parlamentarier geschnitten wird?

Wo ist jener glänzende englische Handelsstand, dessen Söhne, Dank dem