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Menenius der Jüngere.
jährigen Reisen die Sitten und Institutionen fremder Völker aus eigener Anschauung kennen zu lernen, beschränkt sich der Sohn des deutschen Aristokraten in der Mehrzahl der Fälle auf seine militärische Ausbildung, eignet sich Vollendung in den gesellschaftlichen Formen des Offiziers an, tummelt feine Gäule, kämpft muthig und mit Hingebung, wenn ein Krieg in seine Dienstzeit fällt, und findet später in dem von den Wirkungen der allgemeinen Dienstpflicht durchsogenen Verhältnisse zu den Bauern seiner Güter noch eine Art Fortsetzung seiner früheren militärischen Position.
Sind das Institutionen, die, wenn nicht allmählich in mühevoller Arbeit umgestaltet, zur Selbstregierung, und durch diese zum parlamentarischen Regiment führen können? Die Frage beantwortet sich von selbst. Geduldig zwar, aber doch mit Widerwillen werden die Dienste geleistet, welche die Staatseinrichtungen schon jetzt von dem Einzelnen in Anspruch uehmeu. „Früher bezahlten wir mit den Steuern die Verwaltung, jetzt zahlen wir die gleichen Steuern, und müssen doch die Verwaltung zur Hälfte selbst führen "— so hört man selbst die Gebildeten und Unabhängigen sich äußern. Die Politik aber nimmt die Stelle ein, die ihr unter solchen Umständen allein verbleiben kann; sie ist ein Unterhaltungsstoff, und ein sehr anziehender, insofern sie der angeborenen Streitsucht Nahrung giebt. Die Wahlen find in diesen: Siuue ein wohlthuendes Reizmittel. An ernste und gefährliche Folgen denkt Niemand. Im Herzen vertraut der Wähler auf die Mäßigung und Standhaftigkeit des Monarchen, welcher unter allen Umständen dafür Sorge trägt, daß das Interesse des Staates an diesen Dingen nicht ernsthaften Schaden nimmt. Wie die Wahlversammlungen, so die Parlamente. Den Ministern die Zähne zeigen ist ein Hochgenuß, und wird es immer bleiben. Großartige politische Erfolge vermögen nur auf kurze Zeit diese unwiderstehliche Neigung eiuzu- schläfern. So geschah es unmittelbar- nach 1866 und einige Jahre laug nach 1870; aber diese Zeit ist längst vorüber. Und je mächtiger der Minister ist, desto angenehmer wird es empfunden, wenn man seinem Willen Widerstand entgegensetzt.
Es versteht sich, daß ein Mann wie Bismarck trotz der allseitigen Ueberzeugung von seiner Staatsweisheit, Energie und überlegenen Klugheit unter dieser Neigung am meisten zu leiden hat. Es giebt Tausende in: Volke, die keine Parlamentsverhandlungen lesen, ausgenommen eine solche, wo Bismarck geredet hat, und diese nur, weil sie sicher sind, daß ihm von irgend einer Seite etwas höchst Widerwärtiges gesagt worden sein wird. Und es giebt zahlreiche Politiker in deutschen Landen, welche Bismarck, wenn er nur immer das Gegentheil seines wahren Willens kuudgäbe, ganz nach seinem Belieben leiten könnte, weil sie unbedingt das Gegentheil von dem anstreben, was der Reichskanzler als wünschenswerth erachtet. Die letzte Reichstagssession war in dieser Beziehung noch lehrreicher, als ihre Vor
gänger. Je mehr man sich dem Ende der Session näherte, desto trockener wurde die Luft. Der Lust am Streite war noch nie so wenig gefröhnt