Issue 
(1880) 40
Page
115
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

- Lin Blick von der politischen Warte.- sjö

Neigungen, denen die ererbte Skepsis besonderen Vorschub leistet. Und zu diesen Bundesstaaten gehört Preußen, welches schon ein Jahrhundert lang vorher sich eine europäische Großmacht hatte nennen dürfen. Der Bundesstaat Preußen ist es denn auch, welcher die deutsche Einheit von den übrigen erzwungen hat- So lange das Deutsche Reich nicht bestand, wurde Deutschland durch Preußen repräsentirt. Die übrigen Mitglieder des jetzigen Bundes lebten als Deutsche fast kostenlos unter preußischem Schutz. Dieser widersinnige Zustand führte den Krieg von 1866 in Deutschland herbei, und machte in weiterer Folge das Reich von 1870 erstehen. Preußen ist der umarmende und beschützende Bundesgenosse. Mit dieser Eigeuthümlichkeit muß Jeder rechnen, der das Reich regieren will. Fiele es auseinander, so würde die alte Anomalie von neuem entstehen, denn Preußen gravitirt unwiderruflich nach Deutschland. Wer wollte sich verhehlen, daß die Gesammtheit solcher Umstände den Bundesstaat bei künftigen politischen Erschütterungen Europas ganz eminenten Gefahren aussetzt?

Das Ausland wird bald entdeckt haben, daß man gegen deutsche Politik nicht blos in Berlin, sondern auch iu Dresden oder München und noch an manchen anderen Stellen operiren und intriguiren kann. Man hat es vielleicht schon längst entdeckt, nur wagt man nicht demgemäß zu handeln, so lange Bismarck zur Stelle ist. Daß der deutsche Reichskanzler diese Gefahren erkannt hat, ist nicht zu bezweifeln; aber er liebt es nicht, davon zu reden. Er zieht vor, seine Nation an den Klippen vorüberzuführen, an denen sie scheitern könnte. Das hat er bewiesen in seiner Politik gegen Rußland. Und er kann seinen Landsleuten gegen solche Gefahren, wenn die Vaterlandsliebe nicht allen Zwiespalt niederzuhalten vermag, nur eine einzige Schntzwehr hinter­lassen: nämlich eine Fülle von Bindemitteln der einzelnen

Staaten unter einander. Dies ist es auch offenbar, was er

beständig anstrebt. Eine ganze Reihe von Institutionen des Reiches ver­

danken diesem hohen Ziele ihre rasche Entstehung. Man liebt es, die innere Politik des Kanzlers zu schmähen und herabzusetzen. Vielleicht wäre es richtiger zu sagen, er habe noch niemals wirkliche innere Politik getrieben, er erachte die Zeit noch gar nicht für gekommen, wo man sich wie in England ruhig dem Ausbau im Innern hingeben kann. Vorläufig ist seiner Ansicht nach die grobe Arbeit noch nicht gethan. Es gilt vorerst noch immer, neue eiserne Klammern zu ersinnen, um die einzelnen Staaten fester aneinander zu schmieden, und die vorhandenen Fugen unsichtbar zu machen. Und wenn er dies als die Aufgabe seines Lebens erachtet, für die er Alles einsetzt, was ihm die Entwickelung der Umstände, was ihm seine Leistungen an Ansehen bei Volk und Fürsten eingetragen haben wer ist vermessen genug zu verlangen, daß er von diesem Werke zurücktrete, ehe die Natur von ihm ihr Recht fordert? Wer will die Folgen eines solchen Ereignisses tragen in der Stunde der Gefahr, und was wäre der Nation damit gedient, wenn einer von denen, deren politisches Ansehen nur niit der Kunst der Rede