Issue 
(1880) 40
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Max Jordan in Berlin.

U8

Kräften des Geistes und Charakters bemüht waren; auf dem andern Wege ist unsere Genremalerei allmählich groß geworden. Der Genremaler ist der praktische Philosoph: in gutherziger Selbstbescheidung nimmt er das Leben wie es ist, er beurtheilt es nicht, noch meistert er es gar; sein Standpunkt ist innerhalb der Dinge, denen er, sei es mit Wehmuth oder mit Lust, jeden­falls mit innigem Antheil, nachgeht. Das Gemüth giebt seiner Weltanschauung den Stempel: gut oder schlecht, schön oder häßlich, weise oder thöricht, haben für ihn die Existenzen ihre Realität eben in sich; er versucht, mit ihnen aus­zukommen, weil sie doch Eine Stelle haben, wo er sie mit dem Herzen erfassen kann. Nicht die Welt zu bessern oder zu verschönern, nicht ihre Mängel zu beschönigen, ist sein Ziel, sondern sie treuherzig zum Ausdruck zu bringen und mit der Wärme des Humors anzustrahlen, die wie die liebe Sonne täglich aufgeht über dem Täglichen. Und indem er das thut, vollzieht er unmerklich die wohlthätigste Täuschung, denn er fügt den Erscheinungen, die er uns angeblich naiv vorführt, seine Liebe hinzu, durch die sie eine heimliche Verklärung empfangen.

So schildert uns Knaus das Bürger- und Bauernleben der Gegenwart. Man muß einmal ein Bild von ihm mit den klassischen Genregemälden der alten Düsseldorfer Schule vergleichen, um den Unterschied der moralisirenden und der humoristischen Auffassung sich klar zu machen und zugleich zu empfinden, wie philiströs die einen, wie gemüthvoll die anderen wirken. Dort begegnen uns die Musterknaben oder die aufgestutzten Abschreckuugs- Exempel, hier sind es wirkliche Menschen mit Fleisch und Blut, zu denen wir ein natürliches Verhältniß einnehmen; weil sie nichts weiter sein wollen als Adams Söhne oder Evas Töchter, sind sie uns in Wahrheit viel mehr, nämlich Gemüthsverwandte, an denen wir unaufgefordert uns selber prüfen und messen. Darin liegt ungesucht und unbeabsichtigt eine moralische Wirkung von ganz anderer Art. Ihr Ursprung ist die schlichte Wahr­haftigkeit der Darstellung, die gerade weil sie dies ist, gar nicht anders kann als auch das Herz des Darstellers uns mit zu zeigen.

Es ist eine Selbsttäuschung des künstlerischen Realisten, uns die Dinge malen zu wollen, just wie sie sind. Sie geben dieselbe im besten Falle doch nur streng wie sie sie sehen, und eben deshalb sind sie selber mit dabei, und auch an ihren Bildern ist und bleibt der Urheber das eigentliche Bild. Bei Knaus vor Allen, und eben darum sind uns seine Werke so an's Herz gewachsen, weil sie uns niemals typische Erscheinungen bieten, sondern solche, denen wir es abfühlen, daß sie durch die Sphäre eines mit der Wirklichkeit und ihren Leiden und Freuden in klarem Einklang stehenden Gemüthes hin­durch gegangen sind. Empfänden wir nicht, daß ein edler und liebenswürdiger Mensch mit diesen Gestalten innig lachen und innig weinen konnte, daß er ihre Schwächen und Fehler mit tiefem Antheil beobachtet, ihre Tugend, ihre Treue mit stillem Jauchzen wahrgenommen hat, sie blieben uns trotz aller Kunst gleichgültig.