Das Rosenkreuz.
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Klostermauern erreichbar; Natur und Welt gelten der Sünde gleich, die Guter der Erde sind nur menschlicher Schwäche zugestanden, der Stärkere flieht sie und durchschaut sie bis auf ihren innersten Grund, aus dessen Tiefe Satan ihm die Zähne weist. Heiliges, reine Güte, wahre Seligkeit giebt es nur in dem gestaltlosen Lichte eines paradiesisch gedachten, aber doch im Grunde inhaltsleeren Jenseits und in dem irdischen Wiederscheine dieses Lichts. „Um der Leere willen, die uns iills Jenseits ladet, sollen — wie Hafis sagt und ablehnt — alle Rosenblätter auf Erden zerknittert werden".
Die Religion, das Leben in Gott, in solchen Versöhnungslosen Gegensatz zu stellen zu Natur und Welt, dies setzt eine Gottesanschauung voraus, welche auch ihrerseits Gott in einen unversöhnten Gegensatz zur Welt stellt, als sei die Welt mit Allem, was darinnen ist und vorgeht, nicht Schöpfungswerk göttlicher Liebe von eigenen! Werth, sondern nur Durchgangspunkt, Ueberleitung, ein Schwungbret nur, um sich von da zur Gottheit aufzuschwingen, also eigentlich nur vorhanden, um nicht zu sein, nur geschaffen, um in ihrer Werthlosigkeit erkannt, gehaßt, geflohen zu werden. Im Urchristenthum, das den Gott der Liebe verkündigte, finden wir dem entsprechend vielmehr die Lehre, daß nach Tödtung des alten, sündhaften, die Erzeugung eines „neuen Menschen", die Wiedergeburt das gewollte Ziel fein soll, daß das Reich Gottes durch Erschaffung „eines neuen Himmels und einer neuen Erde", Erbauung eines „neuen Jerusalem" sich verwirklichen wird, und daß die Scliggepriesenen nicht nur Gott schauen, sondern auch „das Erdreich besitzen". Dieser Urgedanke des Christenthums ist im Mittelalter gänzlich verkannt und zurückgedrängt, wie in der Gottesidee die Vorstellung des rächenden, schwer zu versöhnenden Herrschers vorwaltet. Die unausbleibliche Folge — vielfach schon die Ursache — war eine sehr niedrige, ja gemeine Auffassung der irdischen Daseinsformen und Lebensgüter. Für unfähig gehalten, Gefäß und Spiegel des göttlichen Geistes zu sein, treten sie nur nach ihren ungöttlichen Seiten ins Bewußtsein dessen, der sich der Stufe höchster Heiligkeit rühmt. Er sieht im Sinnlichen nur den Schmutz, in der Natur nur den verlockenden Dämon. Ehelosigkeit, Fasten und Müßiggang sind Bestandstücke seines Ideals, weil er an der Ehe, am Essen und Trinken, an der Arbeit nur das Gemeine zu fassen weiß, jede heiligende Ausgestaltung, jede gcmüthvolle Vertiefung und sittliche Veredlung, jede Poetische Vergeistigung dieser Lebensformen ihm entweder ganz unbekannt blieb, oder von dem Momente an vergessen ist, wo er das Heilige in seiner höchsten Reinheit zu ergreifen meint. So ist der heilige Selbstpeiniger des mittelalterlichen Christenthnms im Grunde ein Cyniker, und jeder kleine Abfall von seinem Ideale wirft ihn unmittelbar in Rohheit und Barbarei zurück. „Entweder Thier oder Gott" — ruft er mit einem alten Philosophen Griechenlands ans, der unter den Griechen ein Sonderling war. Entweder Thier oder Gott! Wenn unter diesem Motto dem Menschen seine Aufgabe gestellt ist, so wird die Menschennatnr dafür sorgen, daß das Thier siegt. Das