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Rudolf 5epdel in Leipzig.
Heiligenideal des Mittelalters gehört darum weit inehr der Sage und Dichtung an, als der Wirklichkeit; was die Wirklichkeit des mittelalterlichen Lebens an seiner Stelle ausweist, ist zumeist sein erschreckendes Gegentheil.
Der Anbruch eines edleren, wahrhafteren christlichen Lebensideals beginnt damit, daß man sich des Menschen wieder erinnerte, der weder Thier noch Gott, sondern wahrhaft Mensch ist, in harmonischer Entfaltung seiner gottverliehenen natürlichen Kräfte und im Genüsse ihres Werths, in glücklicher Organisation des Gemeinschaftslebens, zu dem diese Kräfte ihn bestimmen, und froh der Arbeit, welche diese Gemeinschaften ihni für Erdenzwecke auferlegen. Dies war der Mensch, wie ihn das elastische Alterthum zu verwirklichen gesucht, wie ihn vorzüglich die griechische Kunst dem geistigen Blicke enthüllte. Darum ist es die sogenannte „Renaissance" gewesen, in der ein protestantisches Christenthum noch vor der religiösen Reform erstand, und geistige und sittliche Lebensquellen von maßgebendster Bedeutung wurden von ihr aus in die jungen Pflanzungen des Protestantismus hineingeleitet.
Wollte man im Gegensätze zu jener schroffen und einseitigen Richtung auf Entsagung, Abtödtuug, Natur- und Weltflucht, die das Kreuz versinn- bildet, ein Symbol aufsinden für unschuldige Sinnlichkeit und Lebensfreude, für einfache, echte Menschlichkeit in Gefühl und Sitte, für Humanität, man würde ganz von selbst an die Rose denken. In ihrer Farbeuzartheit, ihrem milden Dufte, ihrer Formenstrenge und doch sanften Rundung deutet die Rose auf ein natürliches Empfindungsleben, dem durch Maß und Zucht fein Widerstand gegen den Geist gebrochen ist, ohne daß es au Fülle und Schönheit und am Umfange seines Rechts Einbuße gelitten. Ein edler Natursinn, Fröhlichkeit, Menschenfreundlichkeit, Freude am Schönen, winden sich im antiken Leben schon, reiner und voller noch in den Idealen der Renaissance, zu Rosenkränzen, die dem Kreuze verlangend entgegenschwellen, um mit ihm verschmolzen zum Zeichen der höchsten, innigsten Vereinigung zu werden zwischen Himmel und Erde, Geist und Natur, Entsagung und Lust, zum Symbol der Wiedergeburt im Gegensätze sowohl zur natürlichen Unmittelbarkeit als zur Abtödtuug, und zugleich im Geiste des Urchristeuthums.
Martin Luther hat die Zusammenfügung von Rose und Kreuz zu Einem Gesammtsymbol in der anspruchslosen Absicht vollzogen, um sich ein bedeutsames Zeichen für sein Petschaft zu erfinden. Aehnliche Zusammenstellungen aus früherer Zeit habe ich nicht entdecken können, nur daß die Ausschließung und Erweichung des Kreuzes zur Kreuzblume im gothischen Baustil eine Annäherung daran genannt werden könnte. Aber hätte Luther auch Vorgänger gehabt, er bliebe Erfinder. Denn wir haben ein köstliches Schreiben von ihm, in dem wir lesen, wie das Zeichen ohne jeden Anschluß an Vorhandenes unmittelbar aus seiner eigenen Gedankenwelt hervorwächst. Von der Veste Coburg aus, wo Luther, in Verborgenheit lebend, den Verhandlungen des Augsburger Reichstags folgte, schrieb er an seinen Freund