Issue 
(1880) 40
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Das Rosen kreuz.

H35

dieser Gesellschaft ein Kreuz mit Rosen umwunden, so laßt sich leicht voraus­sehen, daß die durch den Ostertag besiegelte ewige Dauer erhöhter mensch­licher Zustände auch hier bei dem Scheiden des Humanus sich tröstlich würde offenbart haben". Ich kann mir nicht versagen, die Verse hier einzuschalten, in welchen das Rosenkreuz dem Helden des Gedichts zum ersten Male sichtbar wird:

Schon sieht er dicht sich vor dein stillen Orte,

Der seinen Geist mit Ruh und Hoffnung füllt,

Und ans dem Bogen der geschlossenen Pforte Erblickt er ein geheimniszvolles Bild.

Er steht und sinnt und lispelt leise Worte Der Andacht, die in seinem Herzen quillt,

Er steht und sinnt, was hat das zu bedeuten?

Die Sonne sinkt und es verklingt das Läuten.

Das Zeichen sieht er prächtig aufgcrichtet,

Das aller Welt zu Trost und Hoffnung steht,

Zu dem viel tausend Geister sich verpflichtet,

Zu dem viel tausend Herzen warm gesteht,

Das die Gewalt des Kittern Tod's vernichtet,

Das in so mancher Siegesfahne weht:

Ein Labcquell durchdringt die matten Glieder,

Er sieht das Kreuz, und schlägt die Augen nieder.

Er fühlet neu, was dort für Heil entsprungen,

Den Glauben fühlt er einer halben Welt;

Doch von ganz neuem Sinn wird er durchdrungen,

Wie sich das Bild ihm hier vor Augen stellt:

Er sieht das Kreuz mit Rosen dicht umschlungen.

Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt?

Es schwillt der Kranz, um recht von allen Seiten Das schroffe Holz mit Weichheit zu begleiten.

Wenn Goethe selbst, als er zweiuvddreißig Jahre nach Abfassung des Gedichts die Erläuterung dazu schrieb, zur Erklärung des Zeichens auf den Ostertag verweist, so scheint es, als habe er nur eine Seite, die für sich allenfalls genügte, heransheben wollen, da es galt, Anfragende zu befriedigen, als der ganze Gedankengang ihm serngetreten war. Im Gedichte selbst ist das Rosenkreuz offenbar als prägnanter Ansdruck des ganzen Wollens und Seins der religiösen Brüderschaft ausgesaßt, die es zu ihrem Symbol wählte, wie es denn auch im Innern des Gebäudes über dem Sitze des Obern wiederkehrt, des Humanus, während die Sitze der übrigen zwölf Ritter auf andre Weise bezeichnet sind. Es ist das Symbol der Religion des Humanus, des reinen, ächten Menschen, einer Religion, welcher das Kreuz des Christenthums zu Grunde liegt, aber diedas schroffe Holz mit Weichheit begleitet". Dem Dichter stellte sich unter jenem Zeichen nach allen Seiten hin das Ideal eines humanisirten, der mittelalterlichen Schroffheit und Rauhigkeit enthobenen Christenthums vor Augen, als das Ideal, nach welchem die protestantische Entwickelung sich hinznbewegen Hütte.