Das Rosenkreuz.
§37
Wie nun die Religion eines Menschen den leuchtenden Mittelpunkt bildet von dem alle seine Lebenstendenzen ausgehen und sich wie einzelne Strahlen abscheiden, so wird uns auch der gewonnene Aufschluß über Goethes Ehristen- thum zum Schlüssel für andere Seiten seines Wesens und Wirkens, seines Wollens und Schaffens, welche in jenem Gedichte nicht berührt find. Es sei mir gestattet, nur Weniges hierüber anzudeuten. Wir fanden das von Goethe so sicher ergriffene und bewußtvoll geförderte protestantische Ideal geschichtlich vorgezeichnet durch das Zusammenwirken des deutschen religiös- reformatorischen Geistes mit dem Geiste der italienischen Renaissance, welche ihrerseits nach den Göttern Griechenlands und nach der Sonne Homers sehnend zurückschaute. Wer möchte nun verkennen, daß wir dem gleichen Bunde die herrlichsten Jdealschöpfungen unseres Dichters verdanken, Gestalten, welche unvergänglich dem deutschen, ja dem europäischen Leben eingepflanzt sind, bildend, befruchtend, erziehend unablässig in uns nachwirken? Seine Männergestalten haben in mehr indirecter Weise diese Wirkung, indem sie nicht sowohl das zu erreichende Ideal selbst, als das bewußte Ringen und Streben zum Ausdruck bringen, jene scheinbar so entgegengesetzten Cultur- elemente zur harmonischen Einheit zusammenzuzwingen: wie sich denn im zweiten Theile des Faust dieses Streben der Vereinigung des Christlich- Germanischen mit dem Antiken in dem Raube der Helena ein ausdrückliches Sinnbild schuf. Direct tritt uns das Gewollte in den Frauengestalten entgegen. Goethes Iphigenie, seine Dorothea, seine Eleonore von Este sind uns der Ausdruck eines Lebens, wie wir es selbst leben und um uns sehen möchten, der Ausdruck eines christlichen Seelengehalts, der in antiker Schönheit Fleisch wird, nicht mehr schmerzvoll sich der Natur entwindet, sondern in das Naturleben selbst verklärend und heiligend sich ergießt. Und ein überaus wichtiger Schritt ist von Goethe in dieser Wiedergeburt der Natur aus dem Geiste über den Pietismus hinaus gethan. Dieser litt ja immer noch gar sehr an der mittelalterlichen Entgegensetzung des Weltlichen und des Heiligen, und verleitete dadurch zu jener hochmüthigen oder ängstlichen Beschränktheit, die unter dem Namen „Welt" oder „weltliche Dinge" Alles verachtet und hinter sich läßt, was nicht in directester Weise sich als Beschäftigung mit Gott ankündigt, die Güter der Natur und edler Geselligkeit, ja Wissenschaft und Kunst, mißtrauisch uur auf ihre verführerischen Seiten hin beurtheilt, und zuletzt in den mönchischen Cynismus zurückwirft, der überall Schuld sieht, weil er die Unschuld im eigenen Gefühle nicht kennen gelernt hat. Daß wir Unendliches im Gegensätze zu diesen Richtungen für die Ausgestaltung des modernen Lebensideals Goethe verdanken, wer kann es leugnen, der ihn unbefangen aus sich wirken ließ? —
Wir haben zum Schlüsse nun noch zweier Verwendungen unseres Sinnbilds zu gedenken, die in die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts fallen, und ohne Zweifel dem Vorgänge Goethes folgen, so daß auch sie zuletzt in Luthers Petschaft ihre Wurzel haben würden. Der Philosoph