Heft 
(1880) 40
Seite
139
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Das Rosen kreuz.

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Das Kreuz von Stein, sie stellen's auf im Garten,

Ein räthselhaft, ehrwürdig Alterthum,

Dran Rosen rings und Blumen aller Arten Empor sich ranken, kletternd um und um.

So steht das Kreuz inmitten Glanz und Fülle Auf Golgatha, glorreich, bedeutungsschwer:

Verdeckt ist's ganz von seiner Rosen Hülle,

Längst sieht vor Rosen man das Kreuz nicht mehr".

Es ist schwer, von dem Eindrücke dieser ergreifenden Verse sich loszu­reißen, um sich ans die Zustände und Stimmungen der Zeit zu besinnen, in der wir leben. Thun wir es dennoch, so werden wir freilich nicht nur mit Wehmuth und Trauer, sondern auch mit dem Lächeln über vergangene Kindheitsgefühle von dieser Hoffnungsfreudigkeit und idyllischen Schwärmerei früherer Jahrzehnte scheiden. Gewiß, die Erde wird niemals ein Paradies werden, und der Glaube, der das Paradies ersehnt, wird es jenseits des irdischen Daseins zu suchen haben. Aber sollte nicht unsere geistige, sittliche und Gefühlsentwickelung seit jenen Tagen allzusehr in's Gegentheil umge­schlagen sein? Dem religiösen, philosophischen, poetischen Idealismus ist zunächst der politische, sociale und materielle Realismus gefolgt, der einst im Gegenschlage gegen die Richtung der Romantiker sogar dem Dichter die An­weisung gab, das deutsche Leben bei der Arbeit aufzusuchen, aus der schein­bar nurprosaischen" Sphäre des Pflichtlebens die Stoffe der Romandichtung zu schöpfen. Als jüngste Phase deutschen Denkens und Sinnens hat sich sodann im Gegensätze zu jenem naiven Optimismus ein verzweifelter Pessimis­mus aufgethan, dem die Erde nur ein Jammerthal ist, ja das Weltdasein überhaupt eine zu sühnende Schuld. Sollten wir nicht hier bekannte Ge­sichtszüge vor uns sehen, in die wir noch vor Kurzem geblickt haben? Ist es nicht der mittelalterliche und der pietistische Weltbegriff, in den uns der Pessimismus zurückschleudert? Auf der anderen Seite erhebt Rom sein Haupt; die Kirche des Mittelalters sieht in dieser Rückkehr zu ihren Geleisen nicht sowohl dieSelbstauslösung des Ehristenthums", als vielmehr die Selbstauslösung des Protestantismus. Bald wird er ihr reif scheinen zum Zugreifen.

Auch der stoische Idealismus des sich selbst genügenden Pflichtbewußt­seins kann den Pessimismus nicht überwinden. Wer wird den Adel der Pflicht verkennen? Aber die Pflicht bedarf der Vorstellung erreichbarer Endziele, um deren willen sie Pflicht ist. Wird das sittliche Wollen und Pflichtleben selbst als solches Endziel gefaßt, so dreht man sich im Kreise und entbehrt jeder Antwort auf die Frage, was denn nun zu wollen Pflicht fei. Ein Endziel, ein Gut, ist immer nur im Gefühl einer Befriedigung vorhanden. Das Pflichtleben selbst kann uns nur dann als ein Gut, als Quell der Befriedigung erscheinen, wenn es verbunden auftritt mit Gefühlen der Befriedigung; aber wir werden dann leicht erkennen, daß diese Gefühle nicht in der Pflichtmäßigkeit des Wollens