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Erklärungen dunkler und schwieriger Stellen im Talmud u[nd] Midrasch auf dem Gebiete der Ethik : nach philosophischer Auffassung / von S. Adelmann
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weil sie alle sowohl zu moralischen als zu ihrem Gegen­theil veranlassen können, wie wir dies schon oben ausführ­licher erklärt haben. Wenn wir dennoch bei diesen gute und schlechte unterscheiden, so geschieht es nach der Art und Weise ihrer Anwendung und der Wirkung, die sie hervorbringen.

Es ergiebt sich aber demnach die Frage, wieso wir wissen können, wo und wann und bei welchen Dingen wir unsere Seelenträfte zum Zwecke des Guten anzuwenden haben, oder bis zu welchem Grade eine Eigenschaft das Gute und Edle fördert, während sie das Gegentheil bewirkt, wenn sie diesen Grad überschreitet. Das Urteil unseres Verstandes kann doch in dieser Beziehung nicht für maß= gebend erachtet werden; denn die Triebe des Menschen üben ihren Einfluß auch auf den Verstand aus und machen ihn so zu denjenigen Ansichten geneigt, die deren Wünsche und ihre Erfüllung rechtfertigen. Wir müssen daher wohl befürchten, daß das Urtheil unseres Verstandes von Frr­thümern und Täuschungen begleitet sein könne.

Darum meint der Talmud, daß wir die Belehrungen über den Gebrauch unserer Seelenkräfte und die Anwendung derselben zum Moralischen nur aus dem Born unserer schöpfen förnen, weil deren Lehren und Urtheile hierüber von jedem Einflusse frei sind und diese sich nur nach dem Maß­stabe der reinen Vernunft und der Wahrheit richten.

In diesem Sinne heißt es:

ברא תורה ברא תבלין

Durch denselben Gedanken ließe sich vielleicht auch die sehr dunkle Stelle im Talmud deuten, welche lautet:

רבי שמעון אומר חבל על שמש גדול שאבד מן העולם שאלמלא מומנים לו שני לא נתקלקל הנחש כל אחד ואחד מישראל היו נחשים טובים אחד משגרו לדרום ואחד משגרו לצפון להביא לו סנדלבונים טובים ואבנים טובים ולא עוד שמפשילין לו רצועה מתחת זנבו להוציא עפר לגנתו ולהרבתו.( סנהדרין ד' נ"ט ע"ב).