Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1911) J. J. Rousseau
Entstehung
Seite
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Die Briefe an Malesherbes.

von Hochmuth zu sprechen. Rousseau beurtheilt durch­gängig andere mild, sich selbst streng, bekennt, ja übertreibt seine Schwächen und Fehler. Da er aber fühlte, dass sein eigentliches Wesen gut war, schien es ihm ein Gebot der von ihm vor allen geehrten Pflicht, der Wahrhaftigkeit, zu sein, seinem moralischen Selbst­bewusstsein offenen Ausdruck zu geben. Ob Rousseaus Art zu denken oder die christliche Demuth besser sei, das berührt uns hier nicht. Wir begreifen aber, dass die aufrichtige und hohe Achtung vor sich selbst Rousseau besonders empfindlich machte gegen Angriffe auf seinen Charakter, und dass er umgekehrt den vielen und groben Verdächtigungen gegenüber, denen er thatsächlich aus­gesetzt war, jene Achtung erst recht betonte und ihr gelegentlich überraschenden Ausdruck gab. Hätte Rous­seau nicht von Hause aus eine übergrosse moralische Reizbarkeit besessen, so wäre es den Schmähungen seiner Feinde kaum gelungen, ihn bis zur geistigen Erkrankung zu erschüttern. Ueberhaupt ist die Hoch­achtung vor sich selbst ein Bestandtheil des zur Para­noia geeigneten Charakters.

Herr von Malesherbes ist eine der wohlthuendsten Erscheinungen seiner Zeit. Er war uneigennützig, hilf­reich und gerecht. Nach einem ehrenhaften Leben ist er

das Aeusserste gehasst und von Einem ebenso geliebt werden. Wer sich um mich nicht ereifert, ist meiner nicht werth... Es kann Einer meine Bücher nicht lieben und ich finde dies nicht tadelnswerth; jeder aber, der mich auf Grund meiner Bücher nicht liebt, ist ein Schelm. Es klingt merkwürdig, ist aber ganz richtig.