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Judenproblem / von I. Breuer
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blicken habe. Die andere, gemäßigtere Richtung hingegen läßt mit sich reden und gibt sich zufrieden, wenn die Gemeinde neben der reformierten auch eine orthodoxe Synagoge unter­hält, neben einem liberalen auch einen konservativen Rab­biner anstellt und diesem die Beaufsichtigung der vom ortho­doxen Judentum geforderten Institutionen überträgt. Beide Richtungen befehden sich, und diese Fehde steht an Heftigkeit der Fehde zwischen Orthodoxen und Liberalen keineswegs nach, ja übertrifft sie zuweilen.

Die Großgemeinden haben fast durchweg, meist unter dem Zwang der Austrittsgefahr, sich sowohl orthodox wie liberal eingerichtet. Da nun aber der Gegensatz zwischen dem orthodoxen Judentum und dem liberalen Judentum genau so groß ist wie der Gegensatz zwischen einem blut- und saftlosen Monotheismus und einer das ganze Leben praktisch beherrschenden Gesetzesreligion, so muß gesagt wer­den, daß die Großgemeinden, die beiden Judentümern zu gleicher Zeit und in tunlichst gleicher Weise gerecht werden wollen, ihrem innersten Wesen nach religiös völlig neutral sind. Wohlverstanden: Gerade in dieser Neutralität erblickt das orthodoxe Judentum in seiner folgerichtigen Aus­prägung die denkbar größte Religionswidrigkeit, da sie den Begriff der religiösen Wahrheit völlig negiert und an ihre Stelle das bloße subjektive Meinen setzt. Sieht man aber von diesem Standpunkt des orthodoxen Judentums ab, so steht für den unparteiischen Dritten die Neutralität derGroß- gemeinden außer Frage. Es sind Verwaltungskörper- schssten, die es bewußt ablehnen, zur jüdischen Religion eine inhaltlich bestimmte Stellung einzunehmen. Wie hoffnungs­los tief müssen bereits die Spaltungen innerhalb des deut­schen Judentums um sich gegriffen oder welch bedenklichen Grad muß der religiöse Jndifferentismus bereits erreicht haben, wenn idealfroh begründete Religionsgemeinden, denen jeder staatliche Charakter etwa nach Vorbild der christ­lichen Gemeinden der protestantischen Landeskirche von Haus aus gänzlich abging, zu bloßen Verwaltungskörper­schaften herabsinken konnten.-

Genau soneutral" wie die Großgemeinden wollen aber auch, ihrer ganzen statutarisch festgelegten Zweckbestimmung nach, derDeutsch-Israelitische Gemeindebund" und der

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