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Judenproblem / von I. Breuer
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sung einer staatlichen Zwangsorganisation in Preußen zum großen Leidwesen dieser Verbände zu vereiteln vermocht. Daß die Verbände im neuorientierten Preußen vom Glück in größerem Maße begünstigt würden, steht nicht zu er­warten.

Faßt man das hier, natürlich nur in flüchtigen Umrissen, Vorgetragene zusammen, so gelangt man zu folgendem Er­gebnis:

Bei jeder Religion ist individuelles Bekenntnis und gemeinschaftbildende Organisation genau vonein­ander zu scheiden.

Bei den deutschen Juden ist aber weder die Einheit des Bekenntnisses noch die Einheit der Organisation vor- handen.

Den sogenannten liberalen Juden ist die jüdische Re­ligion, wie Religion überhaupt, meist ganz gleichgültig. Von dem überlieferten Gesetz des Judentums haben sie sich los- gesagt. In ihrer Jugend lernen sie noch einige Trümmer des durch die seit Mendelssohn tätig gewordene Reform zerstörten Gebäudes kennen. Nachhaltige Eindrücke emp- fangen sie von dem überaus dürftigen und systemlosen, oft gar nicht an die Quellen führenden Religionsunterricht nicht. Bei ihnen kommt es darauf an, die wievielte Ge­neration bereits die Abschüttelung des Religionsgesetzcs vorgenommen hat. Die Abschüttelung erfolgt meist nicht auf dem Wege allmählicher Entwicklung, sondern ruckweise, radikal, gründlich, zwischen dieser und der nächsten Ge­neration. Liberale Söhne orthodoxer Eltern haben natür­lich ganz andere Erinnerungen an das Judentum als etwa die Enkel und Urenkel. Von der Unwissenheit der letzteren in allen das überlieferte Judentum angehenden Fragen kann man sich nur sehr schwer eine richtige Vorstellung machen. Sie ist geradezu grenzenlos. Sie haben oft selbst nur von dem Alten Testament, diesem Buche des Judentums, eine solch geringe Kenntnis, wie man sie bei Christen nur aus- nahmsweise antrifft.

Die Zahl der liberalen Juden wird zwar immer noch von Zeit zu Zeit aus den Reihen der orthodoxen Juden ver­stärkt; man wird aber nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß gegenwärtig die weitaus überwiegende Mehrheit der

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