folgen, und die historischen Schicksale, die sie getroffen haben, stehen zwar in innigem Zusammenhang mit den Schicksalen ihrer jeweiligen Wirtsvölker, decken sich aber keineswegs mit ihnen. Trotz Titus läßt sich eine besondere Geschichte der Juden bis zum heutigen Tage schreiben, und diese Geschichte ist keine Geschichte der Rassenentwicklung und durchaus nicht nur Religionsgeschichte, sondern es ist die Geschichte eines Menschenstammes, der zwar frühzeitig seinen Staat eingebüßt hat und damit um sein geschichtliches Glück in herkömmlichem Sinne gekommen ist, dem aber eine solch wunder- , same Zentripetalkraft innewohnte, daß er glücklichere und mächtigere Stämme mit nationalstaatlicher Organisation überdauert hat. Gewiß, diese Geschichte der Juden weiß von siegreichen Schlachten nichts zu erzählen und kann auf glänzende Eroberungen die Aufmerksamkeit nicht lenken; aber politische Geschichte ist sie deshalb doch für jeden, dem diese mehr bedeutet als Schlachtenbericht und Eroberungsdenkmal. Es ist die Heldengeschichte einer Nation, die sich schlechterdings weigerte, an sich selbst zu verzweifeln und sich selbst aufzugeben, der Heldenkampf einer staatlosen Menschengemeinschaft, die auf staatenbedeckter Erde die Souveränität ihrer Existenz sich niemals hat rauben lassen, und in der die unauslöschliche Sehnsucht nach der Heimat die heimatliche Seßhaftigkeit ersetzt hat. Viel Tränen durchfeuchten die Blätter dieser Geschichte, viel haben sie von Haß und Feindschaft zu künden. Gar anders spiegeln sich in ihnen die großen Erlebnisse der Völker wider. Wenn die Geschichte des abendländischen Rittertums die Kreuzzüge als Höhepunkte feiert, in denen die Seele der Nationen von Liedern überquoll und ihr Handel zum erstenmal die Fittiche über den Erdkreis breitete, so verdüstert sich die Erinnerung der jüdischen Nation vor all dem entsetzlichen Leid, das sie damals getroffen, und heute noch lassen die orthodoxen Juden alljährlich, wenn diese Tage des mörderischen Frühsommers wiederkehren, als Zeichen der Trauer ihr Haupt- und Barthaar wachsen, wie es sonst das Gesetz nur vorschreibt, wenn die nächsten Verwandten gestorben. Lernt die deutsche Jugend von gesinnungstüchtigen Oberlehrern den großen Korsen als Knechter der Nation, als Zerstörer der Reichseinheit verabscheuen: wie könnten die Juden je vergessen.
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