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Judenproblem / von I. Breuer
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Kopf und wendet sich um. Wo aber Nationen nicht begreifen könn en, da hassen sie. E s geht da mit Nationen nicht anders als mit den einzelnen Menschen. Die Liebe hat die Schick­salsähnlichkeit zur Voraussetzung. Denn sie nur ermöglicht die Einfühlung. Wie aber könnten die Nationen der Erde die jüdische Nation lieben, die das Schicksal der Nationen

überwunden hat? - Der Judenhaß ist zunächst nichts

als die völlige Unfähigkeit zur Judenliebe. Wo aber die Liebe fehlt, da braucht der Haß nur Gelegenheit. Die Lieb­losigkeit wandelt Untugenden in unverzeihliche Verbrechen

und gestaltet den Ungeliebten zum Sündenbock.--

Im Kreise sterblicher Nationen ist für die jüdische Nation kein Raum. Ihre Altersgenossen sind seit vielen Jahr­hunderten dahin, und die heute lebenden Nationen verstehen sie nicht mehr. So kehrt sich das Herz der jüdischen Nation ganz ihren Gliedern zu. Die Judenliebe ist die Liebe der Ausgestoßenen, die sich doppelt lieben, je mehr sie sich gegen­seitig für Fremdheit und Haß entschädigen müssen. Auch sie ist im Westen meist schon lange nicht bewußt national. Aber hier noch mehr als bei den Großgemeinden gilt das oben Gesagte. Liebe ist ganz spontan und hat mit Gründen nichts zu tun. Lasset den letzten polnischen Juden auf offe­ner Straße verprügelt werden und einen deutschen Juden, mag er auch Geheimrat sein, vorübergehen: Er sieht und zuckt zusammen und fühlt sich selber verprügelt. Hat das mit Rasse etwas zu tun oder mit religiöser Überzeugung? Die Geschichte ist's, die im Blute des Geheimrats spricht. Wie der polnische Jude jetzt eben, so sind auch die Groß­väter des Geheimrats einst verprügelt worden, und dieser polnische Jude wird nur deshalb verprügelt, weil er dasselbe ist wie der Herr Geheimrat: nämlich anders als alle andern. Und das heißt Jude sein. Weil die Nationen alle gegen die eine, darum stehen die Juden alle für einen. Die Ge­schichte nur kann dieses wie jenes erklären.-

Es ist ein großer Unterschied, ob eine Theorie sich auf Naturerscheinungen oder auf Menschenverhältnisse erstreckt. Der Erklärung von Tatsachen dienen beide. Während aber jene letzten Endes dazu bestimmt ist, die ihr zugrunde liegen­den Tatsachen in den Naturzusammenhang einzureiben und damit unserer Herrschaft zu unterwerfen, wird diese regel-