sie von den üblichen Begriffen auszeichnende Eigenart zu- komme. Sie übernahm vielmehr den Begriff der Nation von der auf der geschichtlichen Erfahrung der übrigen Nationen aufgebauten Geschichtswissenschaft, und sie übernahm den Begriff der Religion aus den Händen der westlichen, liberalen, protestantischen Theologie, die sich freilich mit den assimilatorischen Anschauungen der Wortführer einer ausschließlich religiösen Gemeinschaft der Juden völlig deckte.-
Die Entwicklung und weitere Ausgestaltung einer Theorie wird nicht selten wesentlich von der Art der Gegnerschaft beeinflußt, auf die sie in ihren ersten Anfängen vorwiegend stößt. Den heftigsten und entschiedensten Widerstand fand aber der Zionismus sofort bei den jüdischen Assi- milanten Westeuropas, die sich namens ihrer „Religionsgemeinschaft" gegen jede Nationalisierung um so eifriger kehrten, je bequemer ihnen diese zu nichts verpflichtende Religionsgemeinschaft die schlimmsten assimilatorischen Ausschreitungen verhüllte. So war der Zionismus alsbald genötigt, zur Religion Stellung zu nehmen und in seiner Theorie denjenigen Platz zuzuweisen, der dem rein Religiösen im Verhältnis zum umfassend Nationalen (nach in Westeuropa allgemeingültigen Grundsätzen) zukommt.
Zwar wußten die Urheber des Zionismus zwischen der „Religion" des westeuropäischen Assimilantentums und der überlieferten, orthodoxen Religion immerhin zu unterscheiden, und soweit sie es zu Anfang nicht konnten, haben sie es im Laufe der Zeit, bei wachsender Fühlung mit dem orthodoxen Judentum, wohl gelernt. Viel zu innig waren sie mit den Lehren der historischen Schule des 19. Jahrhunderts vertraut, als daß ihnen nicht klar gewesen wäre, daß die Religion, gleich dem Recht und gleich der Sprache, von Haus aus nicht etwa im Gegensatz zur Nation stehe, sondern selber als wertvolles Erzeugnis des unbewußten Schaffens des nationalen Genies erachtet werden müsse. Es entging ihnen auch nicht, wie ausgeprägt die nationalistischen Elemente gerade in der überlieferten Religion des Juden- tums zutage treten, wie sehr das religiöse Ideal der Wiederaufrichtung des davidischen Königsthrones in Jerusalem und der Rückkehr der in alle Welt Zerstreuten ins alte