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Judenproblem / von I. Breuer
Seite
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Heimatland dazu hat beitragen müssen, in den endlosen Zeiten nach dem Untergang des Staates und dem Verlust des Vaterlandes das Nationalbewußtsein lebendig zu er­halten und die nationale Einheit zu schützen. Wenn die im Westen im Zusammenhang mit der Emanzipation auf­gekommenen Reformbestrebungen innerhalb des Judentums sich mit ausgesprochener Vorliebe gerade gegen diese natio­nalistischen Elemente der jüdischen Religion richteten und auf Abschaffung all der Gebete drangen, die den Wunsch nach Herbeiführung der nationalen Restauration zum Gegenstand hatten, ja wenn sie vielfach sich höchst energisch für die Aus­merzung der bis dahin in der ganzen Diaspora noch all­gemeinüblichen hebräischen Gebetssprache und für ihren Ersatz durch die jeweilige Landessprache ins Zeug legten, so war den zionistischen Führern der Kausalnexus zwischen der religiösen Reformbewegung und der antinationalistischen Assimilation natürlich nicht unbekannt geblieben, und sie haben, wenigstens im Westen, daraus die Konsequenz ge­zogen und ihren Anhängern die Weisung erteilt, von Fall zu Fall, wie beispielsweise beim Versuch des badischen Oberrats der Israeliten, ein neues Gebetbuch einzuführen, die Orthodoxie in ihrem Kampf gegen die Reform tatkräftig zu unterstützen.

Allein wenn der Zionismus auch dem überlieferten Judentum als einem wertvollen Förderer der nationalen Idee Sympathien entgegenbrachte und die Reform als eine Folgeerscheinung des Assimilantentums durchschaute und verwarf, so machte er gleichwohl in anerkennenswerter Offen­heit kein Hehl daraus, daß der von ihm entdeckte National­charakter der Judeneinheit nach anerkannten westeuropäischen (liberalen) Grundsätzen die unbedingte Allherrschaft der Religion (im liberal-protestantischen Sinne des Begriffs) nicht dulde, daß die religiöse Überzeugung vielmehr aus­schließlich Privatangelegenheit jedes Einzelnen sei, wobei höchstens die Orientierung dieser Überzeugung nach assi­milatorischen Rücksichten, wie das die Reform getan, vom nationalistischen Standpunkt als unwürdig hezeichnet werden müsse, daß aber im übrigen im Schoße der jüdischen Nation jede ehrliche religiöse Überzeugung, sei sie auch völliger In- differentismus oder Nihilismus, gleichberechtigt sei, und