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Judenproblem / von I. Breuer
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Kulturentwicklung, deren Entfaltung, soll sie ungehindert und umfassend sein, Staat und Land freilich erfordert, dem nationalen Gottesgesetz zu unterordnen und mitten in einer unter der Politik der Staatsmänner seufzenden Menschheit das äbrahamitische Ideal der Liebe und des Rechts in Ab­solutheit zu verwirklichen.

Sie war ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe nicht ge­wachsen. Die in der Urkunde immer wiederholte Voraus­sage, daß sie, Staat und Besitz vergötternd, in ein anderes Exil werde wandern müssen, das sich nach Zweck und Ziel als unmittelbare Fortsetzung der ägyptischen Schule dar­stellt, ist in Erfüllung gegangen. Staat und Land, nach Völkervorbild in Selbstzweck gewandelt, waren Hemmschuhe ihrer Höhenentwicklung geworden. So mußte sie beides ver­lieren.

Hat aber sich selb st gewonnen. Denn jetzt erst, nach Zertrümmerung des Staates, beginnt die unerhört einzigartige, triumphgekrönte Geschichte der jüdischen Nation. In der Wüste der Völker findet sie sich wieder als Wüsten- nation des Sinai. Nicht Staat und nicht Land, das Gottes- gesetz nur eint sie noch. Ihr nationaler Wille, der älter ist als Staat und Land, überdauert Staat und Land und hört nicht auf, ja sängt erst recht an, das göttliche Nationalgesetz zu wollen. Mit der ganzen Kraft ihrer Seele, mit lodern­der Begeisterung klammert die Nation sich an ihr Gesetz, und ob auch der Zwang des souveränen Staates den Ge­setzesübertreter nicht mehr ereilt, nur um so härter trifft ihn das Verdammungsurteil der Nation, das den Verräter brandmarkt, der ihre Schwäche zu Willkürtaten mißbraucht. Dies Gesetz, das so umfassend ist wie nur irgendeine Kodi­fikation des gesamten privaten und öffentlichen Rechts eines lebenden modernen Staates: die Nation fährt unentwegt durch all die Jahrhunderte fort, es als für sich und ihre Glieder geltendes Gesetz zu erachten, das in seiner restlosen Verwirklichung nur gehemmt nicht aufgehoben! ist durch den Verlust von Staat und Land sowie durch etwaige entgegenstehende zwingende Normen der Wirts­staaten. Nicht alsmeligionsvorschriften", sondern als Vor­schriften geltenden nationalen Rechts treten die Anforde­rungen des Judentums an den einzelnen Juden heran und

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