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Der Weg meines Lebens : Erinnerungen eines ehemaligen Chassiden / von Josef R. Ehrlich ; mit einem Vorworte von Josef Weilen
Entstehung
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V.

Tage und Wochen vergingen und es ſtellte ſich bei mir ein beſonderes Verlangen einKore zu werden Vorleſer der Thora). Nicht ſo aus Frömmigkeit, als aus dem Drange mich vor einer ganzen Verſammlung hören und ſehen zu laſſen. Wie ſtark dieſer Drang in mir war und wie meine Ein­bildungskraft unter allen andern Geiſteskräften am vorherrſchend­ſten, thätigſten war, läßt ſich aus Folgendem entnehmen: Eines Morgens kam ich in aller Frühe ſchon ins Bethaus der Jolles. Es war noch dunkel und nur zwei Klausner ſaßen hinter dem Ofen und laſen, indem ſie ſich mit einem dünnen Kerzchen leuchteten, in einem dicken, großenSeifer(heil. Buch. Ich ließ ſie ſitzen und meine Einbildungskraft begann in den weiten menſchenleeren Räumen ein korrektes, plaſtiſches Spiel. Da ſtand ich und füllte die Bänke und Ständer alle mit den Chaſſidim der Jolles⸗Gemeinde an. Nun ging ich langſam zur heiligen Bundeslade hin, ſchob in Gedanken nur, weil ich es doch nicht durfte) den ſchweren Vorhang beiſeite, hob mit Händen(die Luft ergreifend) eine der größern Thora's heraus und winkte dem neben mir gleichſam Stehenden, er möge die ſilberne Krone derſelben zurechtſetzen. Hierauf ſtellte ich mich hin vor die erdichtete Menge, trug den kurzen Lobgeſang vor und neigte die Thora den kleinen Knaben um mich herum zum Kuſſe, indem ich mich wirklich ſo hinbückte. Dann umging ich rund das Belemmer, entkleidete im Geiſte die heilige Rolle