Druckschrift 
Der Weg meines Lebens : Erinnerungen eines ehemaligen Chassiden / von Josef R. Ehrlich ; mit einem Vorworte von Josef Weilen
Entstehung
Einzelbild herunterladen

VI.

Brody iſt eine Freiſtadt . Man öffnet jedem Zufluſſe weit die Schranken und unbehindert mündet er in die Handels kanäle der Stadt. Dieſe Beſchaffenheit trägt aber auch der Volksgeiſt Brody's an ſich. Das Ausländiſche, Zugeführte, wird von den edlern, wichtigern Organen der Bewohner frei ſinnig aufgenommen und in die geſammte Körperſchaft des Volkes zur kräftigen Verarbeitung geleitet. Nicht Alle ſind Chaſſidim. Zwar bilden vier Fünftheile der Inſaſſen durch­wegs Juden, aber die Judenſchaft beſteht aus Orthodoxen und Aufgeklärten; erſtere ſind theils arm, theils wohlhabend und führen mancherlei Gewerbe; ſie ſind Mäkler, Wechsler, Wucherer, Rabbiner, Schlächter, Schneider, Klempner, Schuſter, Waſſerträger und Fuhrleute. Letztere ſind reich und treiben Handel. Die Meiſten fahren alljährlich auf die Leipziger Meſſe, kehren dann mit geſegnetem Beutel zurück und führen im Kreiſe ihrer Familie ein glückliches, vergnügtes Leben. Die Empfänglichkeit ihrer Gemüther, die von den verſchiedenen Eindrücken dergroßen Welt förmlich ſchwanger gehen, ſpornt mächtig ihren unternehmenden Geiſt und ſie ſuchen mit geeinter Kraft und Weisheit Anſtalten zu treffen, wie die träumenden Chaſſidim doch einmal aus ihrem Schlafe zu rütteln. Alſo traten einmal die erfahrungsreichen Väter der Stadt zuſammen und beriethen in Gemeinſchaft die Grün­dung einer Hauptſchule nach dem Gleichniß der deutſchen