XII.
Als am andern Morgen die Strahlen der Sonne durch die Lücken und Sparren der geſchloſſenen Fenſterläden herein= ſchlugen, den bereits vorgeſchrittenen Tag verkündend, erwachten wir, kleideten uns ſchnell an und ließen die Fülle des Lichtes in das geräumige Zimmer. Darauf nahmen wir geſellig das Morgen mahl ein, ließen uns Zeit, denn Schule hatten wir keine bis über die Tage des Laubhüttenfeſtes.
Als mir nun der Gedanke kam fortzugehen und ich in der Seele erwog, wohin ich eigentlich meinen Weg nehmen ſollte, da bemächtigte ſich meiner eine Stimmung, als müßte mir heute was Beſonderes widerfahren. Ich grübelte nicht weiter, ließ mich vom Inſtinkte führen und gelangte an den Keller, in welchem meine Mutter wohnte. Hier blieb ich ſtehen, ſah ſo ſchwermüthig beſorgt über die Treppen hinunter und dachte: „Gewiß hat ſie ſchon erfahren. Warum habe ich ihr aber geſtern nicht ſelbſt die Wahrheit geſagt? Doppelten Gram muß ſie empfinden, erſtlich über meine Lüge, dann über meine Freiſinnigkeit in Leſchniow. Doch ich will ihr ſchon den Gram ausreden und ihr beweiſen, daß ich im Grunde gottesfürchtiger bin als alle Chaſſidim. Wie aber, wenn ſie darum ihre Hand von mir nimmt? Wohin werde ich dann gehen? Wer wird das tägliche Brod mir geben? Sie nennt ſich meine Mutter: Iſt ſie es wirklich, ſo kann ſie nicht lange mir grollen; weiß ich doch aus den Leſeſtücken ſehr gut, wie Mütter