Heft 
(1955) 1
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mußten ihm daher nicht nur eine neue ansetzen lassen, sondern auch ein für damalige Verhältnisse recht ansehnliches Schmerzensgeld von 700, Mark zahlen. Jeden netten harmlosen Ulk jedoch ließ er sich schmunzelnd und nachsichtig gefallen. So, wenn ihm die Turner in nächtlicher Stunde einen mächtigen Eichensiegerkranz um den Hals hingen, oder wenn ihm andere feuchtfröhliche Kneipbrüder ein Achtel Bier unter den Arm steckten oder ihm ein großes weißes Nachthemd über den Kopf zogen. Die Perleberger hatten dann morgens eine besondere Freude an ihrem alten treuen Roland. Der Stadtpolizist aber, der zwar nur ein Auge hatte, der aber trotzdem seiner Wachsamkeit wegen den NamenFalkenauge trug, erwischte manch einen der übermütigen Missetäter, und der Stadtkämmerer freute sich.

Die Popularität, die der steinerne Mann von Perleberg weit und breit genoß, wurde von der stillen Liebe der Bürger seiner Stadt getragen. Aber zu ihr gesellte sich auch manche innige und feste Freundschaft von Ver­ehrern, die seinetwegen oft von weither hierher kamen. Sie plauderten dann in Artikeln und Büchern über ihn, zeichneten und fotografierten ihn. Am bewegendsten war wohl das feste Band, das einen Berliner Künstler mit dem Perleberger Roland seit der Zeit verband, als er als junger Soldat in Perleberg auf dem Großen Markt unmittelbar neben ihm im ersten Stock ein Stübchen hatte. Jeden Morgen beim Erwachen grüßte er seinen steinernen Freund. Und abends, wenn beim Sinken der Sonne das Abend­rot dem alten Mann einen hellen Schein übers Gesicht legte, träumte er zu ihm hinüber und erlebte um ihn die Geschichte der alten Stadt. Als er dann im besten Mannesalter frühzeitig auf das Sterbebett mußte, formten in erschütternder Liebe seine feinen Künstlerhände im fernen Berlin nach den ihm vom Fieund überbrachten Detailfotos als letztes Lebenswerk den Roland von Perleberg.

In der Entwicklung dermodernen Zeit waren die Menschen dem Tempo verfallen, und das Sichbeschäftigen mit Dingen, die doch der Vergangenheit angehörten, dünkte ihnen müßig und wenig nutzbringend zu sein. Das spürten auch der Roland und die vielen anderen kostbaren Stücke, die sich aus dem Kulturgut unserer Väter zu uns hinüberzuretten versucht hatten. Da stieg der steinerne Mann eines Nachts entschlossen vom Sockel! An der Spitze seiner Leidensgenossen marschierte er über den mondbeschienenen Großen Markt. Da hat ihn die kleine Dott, das in der Johannisnacht ver­zauberte Prignitzer Mädel, gewuchtig daherstampfen sehen, umgeben von zierlichen Figuren, von alten Heiligen und Kriegsknechten, von Wetter­fahnen, Innungszeichen und feingeschnittenen Buchstaben aus den Spruch­balken der alten Häuser. Auch der König mit Zepter und Krone war dabei und die zierliche Eva aus dem Paradies, leicht geschürzt und mit lockendem,