einer der sachkundigsten Bildhauer aus Dresden herbeigeholt, und in den Zeitungen erschienen Artikel, die eine Grundlage für die Diskussion der Bevölkerung bilden sollten. Im überfüllten Saale fand dann dieser Ausspracheabend statt. Er wurde durch ein Referat eingeleitet und auch durch Vorführung von Lichtbildern, die die insgesamt neun vorgeschlagenen verschiedenen neuen Standortmöglichkeiten in ihrer Wirkung aufzeigten. Man hatte einen nachgebildeten Roland wandern lassen, ihn in der jeweiligen Umrahmung fotografiert und davon Diapositive hergestellt. Die „Wissenschaftler“ wollten das alte Symbol gern wieder an seinen früheren einst zweckgebundenen geschichtlichen Standplatz, eben die Gerichtslaube, setzen; das „Volk“ aber wollte den Roland als weithin sichtbares Wahrzeichen der Stadt und ihrer Geschichte weiterhin auf dem Großen Markt belassen, damit ihn auch fernerhin die Interzonenfahrer bewundern konnten. 15: 1 siegte das Volk. Von den 16 Diskussionsrednern dieser lebhaften und zum Teil recht temperamentvollen Aussprache, der es auch an derbem Humor nicht mangelte, war nur einer für die „Wissenschaftler“. An den Stammtischen und an allen möglichen anderen Orten und Ecken folgten dann weitere, oft recht leidenschaftliche und drastische Debatten. Bei dem heftigen Für und Wider kam es vor, daß sich mancher dabei einen zünftigen Rausch antrank und daß sich dann die Gemüter nur noch um so mehr erhitzten. Die Perleberger lieben eben ihren Roland sehr.
Endlich war es nun soweit! Fachkundige und gewissenhafte Handwerker unserer Stadt gingen an die Arbeit. Es wurde ein paar Schritte vor dem Roland zunächst ein neues solides Fundament in den Boden gebracht; dann entstand ein großes Holzgerüst um den steinernen Recken mit Eisenträgern und Flaschenzügen. Und schließlich ging der entscheidende Handwerker, der Steinmetz, daran, die oberen Teile abzubauen. Das alte Haupt, von leichten grünen Flechten wie von feinem Patina der Jahrhunderte überzogen, durfte sich für ein paar Tage zu einer stillen Ruhe auf die Seite legen. Es durfte sich dabei auch einmal aus allernächster Nähe betrachten und bewundern lassen. Man sah genauer die alten Narben von einst und auch die der neueren Zeit. Man sah die Vertiefung im Haupt, die ehemals wohl eine Helmzier getragen hatte. (Der Roland von Brandenburg trägt in einer ähnlichen Kopfmulde das sogenannte Donnerkraut, das nach altem Glauben mit seinen kleinen Blüten, die rot sind wie der Bart Donars, ein Schutzmittel gegen die Gefahren des Himmels sein soll). Man konnte sich auch eingehender und voll Hochachtung an der sauberen Bildhauerarbeit seines Schöpfers erfreuen. Und man konnte schließlich erkennen, daß das aus der Ferne so streng aussehende steinerne Gesicht einen feinen Zug von Güte, ja fast von ein wenig Schalk um den leicht schmunzelnden Mund
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